Welt der Alpen – Gebirge der Welt
Ressourcen, Akteure, Perspektiven

'Alpenwelt ' Gebirgswelten': Unter diesem Motto stand der 54. Deutsche Geographentag 2003 in Bern. Im Nachgang zum 'Jahr der Berge 2002' beschäftigte sich die geographische Fachwelt dabei mit den Gebirgswelten als 'Inseln, Brücken, Grenzen'. Denn: Wie Inseln ragen Gebirgs-, zumal Hochgebirgswelten aus ihrer Umgebung heraus und stellen deshalb vielfach 'natürliche' Grenzen dar; kaum weniger bedeutsam erweisen sie sich freilich auch als 'Brücken'. Die Alpen sind dafür das prototypische Beispiel. So ist es kaum verwunderlich, daß aus Anlaß des Berner Geographentages bzw. im Hinblick auf ihn eine Reihe geowissenschaftlicher Alpenliteratur erschienen ist.
Entsprechend stehen die Alpen auch im Mittelpunkt des 'Buches zum Geographentag', das als Jahrbuch 2003 der Geographischen Gesellschaft Bern (unter Beteiligung der Geographischen Gesellschaften Zürich, Basel und Ostschweiz) erschienen ist. Die 20 Beiträge des Bandes widmen sich jedoch nicht allein den Alpen, sondern auch asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Hochgebirgen bzw. Hochländern. Sie sind vier Themenkreisen zugeordnet, die zugleich die Leitthemen des Geographentages bildeten. Das sind im einzelnen: Aktuelle Dynamik und Langzeitsignale in Gebirgsräumen, Risikomanagement und Nachhaltigkeit in Gebirgsräumen, Mythen und Lebensalltag in Gebirgsräumen, Entwicklungsstrategien im Spannungsfeld von Geopolitik und lokalen Agenden. Der Band greift also Themenbereiche auf, die einen Einblick geben in aktuelle hochgebirgsgeographische Fragestellungen. Das heißt: Es geht beispielsweise um die Schwankungen der Alpengletscher im Wandel von Klima und Perzeption, um die Landnutzung, Ressourcendegradation und Entwicklungsprobleme im Hochgebirgsland Lesotho, um den Lebensalltag in den Bergen Nepals und Pakistans oder um das Gebirgsland Georgien im Spannungsfeld globaler Geopolitik. Der Buchtitel Welt der Gebirge ' Gebirge der Welt ' Ressourcen, Akteure, Perspektiven hätte das Anliegen kaum trefflicher Ausdrücken können.
Wer sich dann, so angeregt, speziell mit den Alpen beschäftigen möchte, dem sei unter physisch-geographischer Perspektive der von Heinz Veit (Universität Bern) verfaßte UTB-Band empfohlen. Er gilt der Geoökologie und Landschaftsentwicklung der Alpen und gibt im ersten Teil einen Überblick über die Geo-, Bio-, Atmo-, Hydro- und Pedosphären und deren Interaktionen, um dann in einem zweiten Teil die kurz-, mittel- und langfristige Dynamik der alpinen Landschaften von den Eiszeiten bis in die Gegenwart zu entfalten. Das klingt ganz nach klassischem Lehrbuch. Sehr viel zutreffender ist der Band jedoch als problemorientiertes Lehrbuch zu charakterisieren. Besonders deutlich wird diese Orientierung des Autors im Schlußkapitel, in dem sich Heinz Veit den 'Alpen im Treibhaus' zuwendet. Denn: Die Alpen sind ' wie andere Hochgebirge auch ' ein 'Frühwarnsystem' für Klima- und Umweltveränderungen. Entsprechend geht es in diesem Kapitel um die Rolle der Alpen im 'global warming' (mit im globalen Durchschnittsvergleich deutlich höheren Temperaturzunahmen seit 1860), den daraus resultierenden Auswirkungen, z.B. auf die Eisreserven und den Gletscherschwund oder die Schneesicherheit von Wintertourismusgebieten u.a. mehr. Wer so problemorientiert in die einzelnen Kapitel 'einsteigen' möchte, dem empfiehlt es sich, die zusammenfassenden Fragen nicht nur am jeweiligen Kapitelschluß zu 'bearbeiten', sondern sie als Problemhorizontierung zum Kapiteleinstieg zu lesen. Heinz Veits Alpen sind deshalb nicht nur ein Lehrbuch, sondern mehr noch ein Lernbuch im besten Sinn des Wortes.
Vervollständigt wird die aktuelle geographische Alpenbücher-Palette durch eine Neuauflage des 1991 ersterschienenen anthropogeographischen Alpen-Klassikers von Werner Bätzing (Universität Erlangen-Nürnberg). Er widmet sich der 'Geschichte und Zukunft' der Alpen als einer europäischen Kulturlandschaft. Konkret: Er gibt zunächst einen Überblick über die Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte der Alpen im Agrarzeitalter. Stichworte sind dabei u.a.: 'Frühe Formen der menschlichen Alpennutzung', 'Die Blüte von Wirtschaft und Kultur im Mittelalter', 'Die verzögerte Modernisierung in der Frühen Neuzeit'. Ein eigener Abschnitt wird in diesem Kontext aber auch der ökologischen Stabilität der alpinen Kulturlandschaft gewidmet. Ihren Zusammenbruch erlebte diese traditionelle alpine Welt mit dem 19. Jahrhundert durch Industrie, Verkehr und Tourismus. Die damit verbundenen tiefgreifenden Umbrüche werden im zweiten Kapitel thematisiert. Sie münden in die Rolle des Naturschutzes in den Alpen (im Sinne eines romantischen Alpenbildes, dem Postulat der Nachhaltigkeit, schließlich der 'Wildnis als neuer Naturschutz-Idee'). Im anschließenden dritten Kapitel setzt Bätzing dann zu einer Bilanzierung an, wobei er v.a. drei Faktoren des Wandels herausschält: den ökonomischen, ökologischen und kulturellen Wandel. Sein Zwischenfazit: Die Alpen befinden sich zwischen Vervorstädterung und Entsiedlung. Welche Zukunft haben also die Alpen? Die Antwort im abschließenden vierten Kapitel ist unerwartet positiv: Die Alpen sind kein Sonderfall in Europa, eher ein Normalfall. Sie sind ein europäischer Makroraum, der mit INTERREG III B zu einer 'Area of Cooperation' geworden ist. Und schließlich: Die Alpen könnten/sollten ein/der Vorreiter einer nachhaltigen Entwicklung in Europa werden.
Zusammenfassend im globalen Blick: Die Alpen sind ein Modellfall für die Welt der Gebirge bzw. der Gebirge der Welt.