Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung

Die Arbeit lag im Wintersemester 1998 / 99 der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation vor. Rechtsprechung, Literatur und Gesetzesänderungen sind bis April 1999 berücksichtigt.
Die im Zuge der Wiedervereinigung erfolgende Umgestaltung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im Gebiet der ehemaligen DDR bot zahlreiche Anknüpfungspunkte für Wirtschaftsstraftaten, die unter dem Oberbegriff der sog. 'Vereinigungskriminalität' zusammengefaßt werden. Grundlegende empirische Untersuchungen zur vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität fehlen. Um diese Lücke wenigstens zu einem Teil zu schließen, hat Sänger die Strafakten von insgesamt 57 einschlägigen, rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ausgewertet. Damit wird zwar nur ein kleiner, möglicherweise noch nicht einmal repräsentativer Teil der eingeleiteten bzw. bereits abgeschlossenen Ermittlungsverfahren ausgewertet, aber immerhin erhält der Leser auf diese Weise einen Einblick sowohl in die Phänomenologie als auch in die rechtliche Problematik dieser Kriminalitätsformen. Dieser Hinweis soll nicht als Kritik an Anlage und Durchführung des empirischen Teils der Untersuchung mißverstanden werden, denn eine vollständige Aufarbeitung und Auswertung ist im Rahmen einer Dissertation nicht möglich; diese Aufgabe wird künftigen Forschungen vorbehalten bleiben müssen.

Aufgrund ihres Datenmaterials unterscheidet Sänger Straftaten im Zusammenhang mit der Währungsumstellung, mit der Teilnahme am Exportverrechnungssystem des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, mit der Führung und Privatisierung von Treuhandunternehmen sowie mit der treuhänderischen Verwaltung des Vermögens der Parteien der ehemaligen DDR. Dargestellt werden jeweils die rechtstatsächlichen Grundlagen, die zu wirtschaftskriminellen Mißbräuchen Anlaß gaben, kurz skizziert werden sodann die verschiedenen, aus den Akten erkennbaren Mißbrauchsformen, schließlich wird ausführlich auf die strafrechtliche Problembewältigung und Aufarbeitung eingegangen, die sich für die einzelnen Verhaltensweisen durchaus unterschiedlich schwierig gestaltet hat.
Aufgrund der Auswertung einschlägiger Untersuchungs- und Abschlußberichte versucht die Verfasserin einen Überblick zu geben über die eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, von denen im Zeitpunkt des Abschlusses der Arbeit nur ein kleiner Teil rechtskräftig abgeschlossen war, sowie über die hierbei ermittelten Schadenssummen. Angesichts der wirtschaftlichen Dimensionen der Umstellung des Systems der Planwirtschaft und der Vielzahl der damit verbundenen wirtschaftskriminellen Möglichkeiten ist die Zahl der Ermittlungsverfahren sehr gering. Zutreffend weist Sänger freilich auch auf die Grenzen strafrechtlicher Verfolgung hin. Mehr Transparenz verspricht sie sich insoweit von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Bundes und der Länder. Trotz dieser Einschränkung handelt es sich für jeden, der sich für wirtschaftskriminelle Vereinigungskriminalität interessiert, um eine Fundgrube in rechtstatsächlicher wie in strafrechtlicher Hinsicht.