Der Dreißigjährige Krieg
Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648

Bereits in seinem 2002 erschienenen, vielbeachteten und hochgelobten Buch „Die neuen Kriege“ hatte Herfried Münkler dafür votiert, den Dreißigjährigen Krieg als „Analyserahmen und Vergleichsfolie“ für die rezenten asymmetrischen Kriege zu nutzen, um auf diese Weise deren Verständnis zu ermöglichen und Lösungsstrategien abzuleiten. Diesem Ansatz folgt der Berliner Politikwissenschaftler auch in seiner umfangreichen Monographie zum Dreißigjährigen Krieg, die sich nicht zuletzt dadurch von Georg Schmidts kurz danach veröffentlichtem, ähnlich voluminösem Werk „Die Reiter der Apokalypse“ (München 2018) unterscheidet. Die historische Darstellung des Geschehens zwischen 1618 und 1648 wird von einer Einleitung und einem Schluss umrahmt, in denen Münkler jeweils versucht, die Aktualitätsbezüge zwischen den Konflikten des 17. Jahrhunderts und denen der Gegenwart hinsichtlich ihrer „Strukturanalogien“ herzustellen.

Für seine dezidiert politologische Herangehensweise bemüht er Friedrich Nietzsche als Gewährsmann. Im Rekurs auf dessen „Unzeitgemäße Betrachtungen“ wendet sich Münkler gegen ein bloß antiquarisches Interesse an der Geschichte, welches er in der Forschungsliteratur der „letzten zwei, drei Jahrzehnte[]“ (S. 20) zum Dreißigjährigen Krieg auszumachen meint. Als Beleg hierfür sieht er das Überhandnehmen von Aufsätzen zu Einzelaspekten dieses Krieges, wohingegen es nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland keine große Gesamtdarstellung zum Dreißigjährigen Krieg mehr gegeben habe. (Warum Münkler das immerhin 700 Seiten starke Werk „Der Teutsche Krieg“ von Günter Barudio aus dem Jahr 1985 in diesem Zusammenhang unterschlägt, ist nicht zuletzt deshalb unverständlich, weil er den Titel in seiner Bibliographie aufführt.) Überhaupt übt er sehr grundsätzliche Kritik an der Geschichtswissenschaft, wenn er ihren Vertretern vorwirft: „Der Blick des Historikers auf die Vorgeschichte eines Krieges hat in der Regel etwas Besserwisserisches“ (S. 61). Diese Vorhaltung entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da Münkler seine eigenen Sichtweisen und Einschätzungen mit großer Selbstgewissheit und im Gestus überlegenen Wissens vorträgt. Ihre praktische Konsequenz findet diese reservierte Haltung gegenüber den Historikern der Gegenwart darin, dass sich der Politikwissenschaftler in vielen Passagen seines Werkes überwiegend auf Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert – hier vor allem diejenigen von Moriz Ritter und Anton Gindely – bezieht, wohingegen er an mehreren Stellen auf die Verwendung und Auswertung neuerer Forschungsliteratur verzichtet, etwa zum oberösterreichischen Bauernkrieg, zu den finnischen Söldnern oder zur „Magdeburgischen Hochzeit“.

Seine Stärken hat Münklers weitgehend chronologisch angelegte Studie hingegen dort, wo er politik- und militärstrategische Belange unter die Lupe nimmt, wie zum Beispiel bei der Beschreibung von Schlachten. Hier konzentriert er sich nicht allein auf Fragen der jeweiligen Heeresgröße und der taktischen Manöver der Generäle, sondern bezieht auch klimatische, topographische und psychologische Aspekte in seine Untersuchung ein. Auch seine Analyse der verschiedenen Gewaltformen und -logiken weiß grundsätzlich zu überzeugen. Allerdings übersieht er dabei, dass die „diffuse Gewalt“ (S. 35) des Kleinen Krieges gerade kein Alleinstellungsmerkmal des Dreißigjährigen Krieges war, sondern eben auch im 18. Jahrhundert noch ein konstitutives Merkmal der „kalkülrationalen“ Kriegführung (S. 23) darstellte. Münklers Parallelisierungen sind vor allem dort plausibel, wo er sie innerhalb des Zeitgeschehens beobachtet, etwa wenn er die Agenden von Kurfürst Johann Georg von Sachsen und Herzog Maximilian von Bayern zu Beginn des Krieges miteinander in Beziehung setzt und im sächsischen Herrscher den eigentlichen Gewinner des böhmischen Krieges erkennt.

Ferner gelingt es ihm, die Situationsoffenheit vieler historischer Momente aufzuzeigen und alternative Handlungsoptionen der damaligen Akteure vorzustellen. Auch auf der Makroebene legt Münkler die kriegstaktischen Strukturmuster des Dreißigjährigen Krieges instruktiv dar, wobei er mitunter gerne auf typologische Unterscheidungen (z.B. mittelosteuropäischer vs. westeuropäischer Typ der Kriegführung) zurückgreift, um die jeweiligen Spezifika möglichst deutlich herauszuarbeiten.

In der nach wie vor virulenten Frage, ob es sich beim Dreißigjährigen Krieg (vorrangig) um einen europäischen oder einen deutschen Krieg gehandelt habe, macht sich Münkler unumwunden für erstere Sichtweise stark und untermauert diese auch argumentativ stringent, allerdings werden gegenteilige Bewertungen (beispielsweise von Günter Barudio und Georg Schmidt) – wenn überhaupt – nur knapp beleuchtet.

Die allerletzte Phase des Krieges, die parallel zu den bereits laufenden Friedensverhandlungen in Westfalen verlief, schildert Münkler erstaunlich knapp. Während er ansonsten ein ausgesprochenes Faible für die Beschreibung von Schlachten und Belagerungen an den Tag legt, werden die Schlachten von Zusmarshausen und Dachau sowie die Belagerung von Prag (alle 1648) lediglich in einigen Nebensätzen abgehandelt. Sein Fokus liegt hier voll und ganz auf dem westfälischen Friedenskongress, dessen originäre Leistung er darin sieht, dass es den dort miteinander verhandelnden Diplomaten gelang, die scheinbar in einem gordischen Knoten zusammengebundenen Kriegstypen (Religionskrieg, Staatenkrieg, Bürgerkrieg, Hegemonialkrieg, Sammel- und Anlagerungskrieg) so zu entwirren und zu ordnen, dass sie wieder verhandelbar wurden, woraus wiederum erst die Chance entstand, den verheerenden Krieg endlich zu beenden. In dieser Vorgehensweise sowie in der mit den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück geschaffenen „Westfälischen Ordnung“ sieht Münkler auch die Lösungsansätze für die „neuen Kriege“, die er aktuell vor allem in Syrien, Libyen und im Jemen verortet. Die daraus konkret ableitbaren Handlungsempfehlungen bleiben indes oberflächlich und können nicht über die enormen Unterschiede hinwegtäuschen, die die Ähnlichkeiten bei Weitem überwiegen. Zudem schimmert hier ein eigenartiges Verständnis von Geschichte durch, wenn Münkler meint, man könne nicht ausschließen, dass „die Kriege im Vorderen Orient und in der Sahelzone […] Ereignisse [seien], in denen nachgeholt werde, was in Europa vor vier Jahrhunderten stattgefunden habe“ (S. 842). Geschichte wiederholt sich nicht einfach, vielmehr ist jede historische Situation durch ihre Vorgeschichte, Umstände, Rahmenbedingungen und Akteure einzigartig. Mitnichten soll damit der Methode des historischen Vergleichs ihr heuristischer Wert abgesprochen werden. Doch gilt es, auch ihre Grenzen und Einschränkungen zu beachten und transparent zu machen. Darüber hinaus ist die Entwicklung in Europa mitnichten eine Blaupause für andere Regionen der Welt, allein schon deshalb, weil sie keinen teleologischen Königsweg darstellt. Blickt man auf die gegenwärtigen Kriege und Konflikte im Vorderen Orient, so sollte nachgerade die koloniale Wurzel – zuvorderst das Sykes-Picot-Abkommen – nicht vergessen werden. Diese Dimension bleibt in Münklers Buch jedoch völlig unterbelichtet. Krude wird es, wenn in Bezug auf die Kriege in Libyen und Syrien konstatiert wird: „Allein von ihren Ergebnissen her betrachtet, war die russische Art des Eingreifens deutlich effektiver als die des Westens.“ (S. 835) Worin dieser vermeintliche Erfolg bestehen soll, wird weder ausgeführt noch belegt.

Münklers meinungsfreudiger Schreibstil macht das Buch einerseits gut lesbar, andererseits baut der Autor wiederholt Gegenpositionen auf, die in der fachwissenschaftlichen Debatte längst überholt sind, wodurch seine energisch vorgetragene Argumentation teilweise den Charakter eines Schattengefechts annimmt. In anderen Fällen perpetuiert Münkler sorglos politisch hoch aufgeladene Thesen wie die des deutschen Sonderwegs und die damit angeblich einhergehende spezifisch deutsche Abneigung gegen Revolutionen, wenn er in den Auseinandersetzungen um das Besteuerungsrecht zwischen den Reichsständen und Kaiser Ferdinand II. den Ursprung ebendieses Sonderwegs ausmachen will.

Insgesamt bietet dieses Buch interessante Einsichten zur Gewaltgeschichte des Dreißigjährigen Krieges und eröffnet einige spannende Diskussionsanregungen, auf analytischer Ebene weiß es hingegen nicht durchweg zu überzeugen. Bei allen genannten Vorzügen bleibt somit am Ende der Lektüre ein zwiespältiger Eindruck zurück.