Die Präsenz des Aristoteles
In der Einleitung werden drei Einwände gegen Aristoteles referiert: Bleibt der ontologische Realismus des Aristoteles nicht naiv gegenüber transzendentalphilosophischen Ansätzen? Muß das tugendmäßige Handeln mit seinen Zielen und Gütern nicht der autonomen Selbstbestimmung weichen? Zeigt die Bestimmung der Kunst als Nachahmung geglückten oder gescheiterten Lebens nicht zu wenig Verständnis für konstruktive Kreativität? Diesen Fragen werden die Vorzüge des Aristoteles entgegengestellt: Der Mensch vermag sich wiederzuerkennen in dem, was wirklich und wahrhaft ist. Wahrheit als Korrespondenz ist eine belastbare Konzeption.
Barry Smith verzichtet in seinem Beitrag „Aristoteles 2000“ auf die Aristotelische Auffassung, es lasse sich das eine Kategoriensystem für die Wirklichkeit entwickeln. Jedes System folge einer speziellen Perspektive; die Systeme könnten untereinander inkommensurabel sein. Firmen wie „Ontek“ (für „Ontological technology“) entwickeln Informationssysteme. Kategorienbäume ordnen Vorkommendes nach Art und Gattung den entsprechenden Kategorienfeldern zu; „Grenzfälle“ stellen diese vor besondere Schwierigkeiten. Gegen Kant könne argumentiert werden, daß die Welt des „common sense“ nicht nur phänomenal oder eine subjektive Konstruktion sei. Vielmehr müsse ihr Zusammenspiel mit wissenschaftlichen Theorien aufgezeigt werden. Schon Aristoteles habe z.B. nach dem Verhältnis des Körperlichen zum Lebendigen gefragt; doch müsse heute eine Anknüpfung an ihn weit über ihn hinausgehen.
Mario Magnucci befaßt sich mit dem zentralen Begriff der Identität. Die Beiträge von Wolfgang Kullmann, Dorothea Frede und Richard Sorabji handeln über die Bedeutung, die Aristoteles für die Naturwissenschaften (vor allem für die Biologie) und für die Lehre von Leib und Seele oder die „philosophy of mind“ erlangt hat. Der praktischen Philosophie wenden sich Ottfried Höffe und Christopher C.W. Taylor zu, der Ästhetik und Poetik Stephen Hallwell und Arbogast Schmitt. Der abschließende Beitrag von Wolfgang Wieland handelt über „Poiesis: Das Aristotelische Konzept einer Philosophie des Herstellens“. Nach Wieland gibt es viele Lehren Aristoteles, die obsolet geworden sind – von der Ansetzung eines natürlichen Ortes für die Elemente bis zur Rechtfertigung der Sklaverei aus der Natur der Menschen. Doch habe Aristoteles gegen Platon durchgesetzt, daß empirische Wissenschaften als solche anerkannt wurden. Warum aber wurde die poietische Philosophie nicht wie die theoretische und die praktische Philosophie genauer entwickelt? Das Herstellen unterscheidet sich vom Handeln dadurch, daß Hergestelltes wie das Haus und das Bildwerk selbständig existieren kann. Schon nach Sokrates wissen die Handwerker um ihre spezielle Tätigkeit, nicht aber um die angemessene Einbettung ihres Tuns in das gemeinsame Handeln. Das Herstellen versteht sich weitgehend von selbst. Aristoteles glaubt den Artefakten von den natürlichen Dingen her gerecht werden zu können. Dagegen gewinnen die Artefakte in der modernen Welt eine Eigendynamik; sie können nur noch „bedient“ werden, indem wir uns dieser Dynamik unterordnen. So könnte die technische Welt der Herrschaft ihrer Hersteller entgleiten. Wird die Aristotelische Konzeption einer Philosophie der Poiesis unter den Bedingungen der modernen Welt aufgenommen, dann muß man Fragen stellen, die von Aristoteles nicht einmal geahnt wurden. In solchen Differenzierungen erhält die Frage des Buchtitels ihre genaue Antwort. Damit wird der Sammelband zum hilfreichen Angebot einer Einführung in den Umgang mit der Philosophie des Aristoteles.