Nikolaus von Kues
Philosophisch-theologische Werke, lateinisch-deutsch. 4 Bände

Historisch nimmt das Werk des Nikolaus von Kues (1401-1464) eine herausragende Position ein: Es bildet die Schnittstelle zwischen antik/mittelalterlichem und frühneuzeitlichem Denken und ist ein Philosophieren, das bestrebt ist, durch immer wieder neu eruierte göttliche Namen das Wesen der Gottheit in seiner Unbenennbarkeit auf unbenennbare Weise zu benennen und es dadurch sowohl in sich als auch in seinem Bezug zum Anderen seiner selbst zu erkunden, dann das Wesen des menschlichen Geistes in seiner Selbstidentität und als Geflecht von Relationen zu seinem Prinzip und seinen Gegenständen zu ermitteln, schließlich das Wesen des Kosmos zu ergründen. Cusanus verfolgt diese seine Intention in dem Bewußtsein, daß die Vernunft die Wahrheit in ihrer Präzision nur unvollkommen zu erfassen in der Lage ist, gleichwohl aber nichts unversucht lassen soll, sich ihr so weit wie möglich zu nähern. Gelegentlich hält er sich jedoch nicht an diesen restriktiven Begriff von Vernunft und konzipiert sie so, daß sie aus einer sie übersteigenden Region heraus prozediert oder daß sie, als Prinzipiat von einem Prinzip begründet, wegen ihrer dem Prinzip analogen Struktur durch dieses Prinzip hindurch zu denken vermag.

Schlüsselbegriffe der Philosophie des Cusanus sind unter methodischer Perspektive: wissendes Nicht-Wissen (docta ignorantia), Mutmaßung (coniectura), Zusammenfall der Entgegengesetzten (coincidentia oppositorum), in sachlicher Hinsicht: Größtes/Kleinstes (maximum/minimum), der Geist als solcher (mens ipsa) mit seinen ihm immanenten vier Einheiten, der göttlichen, der intellektualen, der rationalen und der sensualen Einheit, das Können-Ist (possest), das Können als solches (posse ipsum), Zusammenfall der Entgegengesetzten (coincidentia oppositorum). Im Gedanken der Koinzidenz der Entgegengesetzten bilden somit die methodische und die sachliche Perspektive einen einheitlichen Verweisungszusammenhang, indem das koinzidentale Denken auf zu denkende koinzidentale Strukturen trifft, aber nur, wenn Denken koinzidental strukturiert ist; andernfalls muß es sich seine Defizienz eingestehen und sich zu sich als koinzidentalem zu erheben versuchen. Der Koinzidenzgedanke ist jedenfalls gerade für Cusanus’ Philosophie signifikant, ist in all seinen Schriften mit philosophisch-theologischem Inhalt präsent.

Eine gelungene Auswahl dieser Schriften liegt jetzt in der angezeigten Werkausgabe vor. Diese Ausgabe genügt höchsten philologischen Ansprüchen und ist übersetzungstechnisch vorbildlich - ein glänzendes Produkt moderner Forschung. Eine in die einzelnen Schriften einführende  Einleitung und umfassende Literaturangaben komplettieren eine Ausgabe, die nicht als Anschauungs-, sondern als Studienobjekt konzipiert, dazu aber in ihrer Handlichkeit bestens geeignet ist.