Entwürfe weiblicher Identität im englischen Frauenroman des 20. Jahrhunderts

Gewinnend

Die vorliegende Studie stellt eine wirkliche Bereicherung für die feministische Literaturwissenschaft dar – und dies gleich in dreierlei Hinsicht. Erstens stellt sie die für Feminismus und Gender Studies gleichermaßen wichtige Frage danach, ob es eine spezifisch weibliche Identität gibt, d.h. “ob und in welcher Weise das Geschlecht ein Faktor ist, der die Selbstdefinition des Individuums beeinflußt”. Auf der Grundlage verschiedener sozialpsychologischer, psychoanalytischer und feministischer Ansätze zur Konzeptualisierung einer weiblichen Identität wird im Theorieteil eine Referenzfolie entworfen, die die differenzierte Untersuchung weiblicher Identitätskonstruktionen in literarischen Texten erlaubt. Zweitens bleibt die Verfasserin nicht – wie dies in feministischen literaturwissenschaftlichen Studien oftmals der Fall ist – bei einer rein inhaltsorientierten Untersuchung weiblicher Identitätsentwürfe in fiktionalen Texten stehen. Sie setzt sich vielmehr zum Ziel, die Identitätsproblematik auch mit literarischen Darstellungsverfahren zu korrelieren und herauszuarbeiten, wie narrative Formen und Strukturen für die Inszenierung geschlechtsspezifischer Identitätsentwürfe funktionalisiert werden können: So kann die Bewusstseinsdarstellung z.B. “der Darstellung selbstreflexiver Identitätsentwicklung” dienen; im verbalen und nonverbalen Handeln der Figuren kann ein “interaktives Aushandeln von Identität” zum Ausdruck kommen; und die Erzählinstanz kann “als übergeordneter Bezugspunkt und potentielles Korrektiv figuraler Selbstdefinitionen” fungieren. Darüber hinaus können sowohl die Perspektiven- und Handlungsstruktur als auch die Zeit- und Raumdarstellung eines narrativen Textes sowie intertextuelle Bezüge und phantastische Geschehensmomente zur Gestaltung von Identitätsentwürfen in Erzähltexten beitragen. Ein drittes Verdienst dieser Studie ist schließlich, daß nicht weniger als 18 englische Romane von Frauen über Frauen ausführlich und viele weitere Romane kursorisch im Hinblick auf inhaltliche und formale Konstruktionen von weiblicher Identität untersucht werden. Dabei berücksichtigt die Verfasserin nicht nur Texte von bekannten und innerhalb der Forschung vielseits beachteten Autorinnen des 20. Jahrhunderts – z.B. von Dorothy Richardson, Virginia Woolf, Margaret Drabble, Doris Lessing und Jeanette Winterson –, sondern bezieht auch Romane von bisher eher vernachlässigten Schriftstellerinnen – wie z.B. von Sylvia Townsend Warner, Elizabeth Taylor, Brigid Brophy, Michèle Roberts und Eva Figes – in ihre Betrachtungen ein. Die Romane werden in drei Gruppen abhängig vom jeweils inszenierten Identitätskonzept analysiert: Es geht um die “Darstellung weiblicher Identitätsentwicklung im Spannungsfeld von Selbstreflexivität und interaktivem Aushandeln von Identität”, um die “Fragmentarisierung der Selbsterfahrung als Problem weiblicher Identität” und um innovative Entwürfe weiblicher Identität “als Fluchtstrategien aus gesellschaftlich vorgegebenen Rollenmustern und Identitätsschablonen”. Insgesamt liefert diese Studie somit einen wichtigen Beitrag sowohl für die feministische Literaturwissenschaft und die feministische Narratologie – und dies nicht nur in der Anglistik! – als auch für die Forschung zum englischen Frauenroman im 20. Jahrhundert.