Der industrielle Strukturwandel in Gliwice (Gleiwitz)
Wandlungsprozesse im Mitte der 80er Jahre Oberschlesischen Industrierevier seit

Verwandlung Ost I

Durch deutsche Geschichtsbücher geistert der Name Gleiwitz vor allem im Zusammenhang mit dem fingierten Überfall eines deutschen Spezialkommandos auf den Radiosender der Stadt am Abend des 31. August 1939, am Vorabend des Zweite Weltkrieges. Daß aus Gleiwitz im Jahr 1945 das nunmehr polnische Gliwice wurde, ist hierzulande vielleicht noch der älteren Generation geläufig. Über die weitere Geschichte und Gegenwart der oberschlesischen Industriestadt breitet sich hingegen ein nebulöses Gemisch aus Unkenntnis und Desinteresse. Stephanie Goebels Studie über den in letzen beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Gliwice und in der umliegenden Wojewodschaft Katowice einsetzenden industriellen Strukturwandel ist kein Geschichtsbuch, das solche Defizite beheben könnte, doch erschließen sich in der hier gewählten geographisch-ökonomischen Perspektive auch weiträumige historische Zusammenhänge, die dem gegenwärtigen Transformationsprozeß das Gepräge geben.

Die Autorin entwickelt zunächst den Begriff des Strukturwandels in Beziehung zum Untersuchungsraum des Oberschlesischen Industriereviers. Ein zweiter Schwerpunkt zielt auf die während der 90er Jahre in der Wojewodschaft Katowice, und darunter eben auch in Gliwice, zutage getretenen Transformationsprobleme. Im weiteren werden die für den Industriestandort relevanten regionalen und überregionalen Planungskonzepte beleuchtet. Hierbei steht der 1995 zwischen regionalen Vertretern und der Warschauer Regierung vereinbarte „Regionalvertrag“ im Mittelpunkt, der vier Ziele anvisiert: (1.) Anpassung des Schulsystems an die Erfordernisse eines sich verändernden Arbeitsmarktes; (2.) Schaffung von günstigen Bedingungen für die Gründung und Entwicklung von Klein- und Mittelbetrieben als Alternative zur „Altindustrie“; (3.) Anpassung der Infrastruktur an die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Entwicklung; (4.) Schaffung von Arbeitsplätzen in Gebieten hoher Arbeitslosigkeit. Verständlicherweise hat man diese bis 2002 konzipierten Maßnahmen besonders auf den bislang wirtschaftlich dominierenden Steinkohlebergbau zugeschnitten. Daneben spielen die Stahlindustrie und der Maschinenbau eine herausragende Rolle. Ergänzt wurde der Regionalvertrag durch eine spezielle Bergbaureform und die Schaffung einer Sonderwirtschaftszone.

Wie dieses System in Gliwice und seinem Umland funktioniert, ist Gegenstand eines weiteren Kapitels. Es zieht eine gemischte Bilanz. Offenbar lassen sich die alten industriellen Strukturen nicht so leicht durch die Ansiedlung von High-tech- und Consulting-Firmen sowie mit der Modernisierung und dem Ausbau des Verkehrssystems überformen. Goebel exemplifiziert die Entwicklung an einer Reihe von Betrieben, wobei sie sich im wesentlichen auf vor Ort recherchiertes Material stützt. Offenkundig verlaufen industrieller Strukturwandel und wirtschaftliche Transformation auch in Oberschlesien nicht nach einem einheitlichen Muster. Ein Teil der Betriebe konnte die Standortvorteile wie niedrige Löhne und Produktionskosten, qualifizierte Arbeitskräfte und die Größe des polnischen Marktes erfolgreich nutzen. Am kompliziertesten scheint die Lage im Steinkohlebergbau zu sein. Im vorrangig betrachteten Zeitraum zwischen 1993 und 1998 hielt sich der Arbeitskräfteabbau in Gliwice noch in relativ engen Grenzen. 1998 waren 6,5 Prozent der Bevölkerung, wie die Autorin schreibt (vgl. S. 74), sicher aber die Erwerbsbevölkerung meint, als arbeitslos registriert. Allerdings konnte man zu diesem Zeitpunkt die Stillegung weiterer Förder- und Produktionskapazitäten absehen. Goebel behandelt das Thema mit sicherem Blick für die Chancen und Probleme, aber ihre Interpretation gerät dabei wohl etwas zu optimistisch. Die Schwierigkeiten der polnischen Transformationswirtschaft sind bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts kaum geringer geworden.

Tabellen, Graphiken, Übersichtskarten und Fotos, zumeist eigene Aufnahmen der Autorin ergänzen den im allgemeinen flüssig geschriebenen und gut verständlichen Text. Ärgerlich sind indes eine Reihe von Druck(?)-Fehlern und stilistischen Holperstellen, die bei gründlicher Korrektur leicht vermeidbar gewesen wären.