Die Juden und das Römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung

Eine Geschichte der Mißverständnisse

Nach der Einnahme Jerusalems im Jahr 63 v.Chr. betrat der römische Feldherr Pompeius den Tempel und entweihte das Allerheiligste, da er „sah, was kein Sterblicher außer dem Hohepriester erblicken durfte“, wie Josephus schreibt. Das Scheitern der pompeianischen Politik gegenüber dem Judentum war vorgezeichnet.

Ernst Baltrusch setzt diese signifikante Episode um die Tempelschändung an den Schluß seiner Untersuchungen der Konfliktursachen zwischen Rom und den Juden und sieht in ihr die „strukturelle Unvereinbarkeit beider politischer Systeme“ gebündelt.

Die Verkennung dieser Unvereinbarkeit ist in Baltruschs Ausführung der Hauptpunkt seiner Argumentation. In thukydideischer und damit guter historischer Tradition unterscheidet er zwischen Anlaß und Ursache und beschreibt in seiner Analyse der tiefergehenden Ursachen der Konflikte in der römisch-jüdischen Beziehungen, der er das Attribut „katastrophal“ verleiht, ihre Geschichte vorrangig als eine Geschichte der gegenseitigen Mißverständnisse.

Diese entscheidenden Mißverständnisse, die zur „Genese der Katastrophe“ mit dem Höhepunkt des Bar Kochba-Aufstandes führten, stellen sich gemäß Baltrusch in der unterschiedlichen Auffassung der Römer und Juden bezüglich ihrer Vorstellungen von Herrschaft und Autonomie dar, eng verbunden mit dem Konzept der Religionsfreiheit.

Historische Erfahrung dient Baltrusch bei seiner Ausführung als elementares Erklärungsmuster: Als Schlüssel zum Verständnis zeichnet er die „politische Existenz jüdischer Gemeinwesen unter Fremdherrschaften im Zeitraum von 727-55 v.Chr.“ unter Assyrern, Babyloniern, Persern, Griechen und Römern nach.

Besondere Betonung legte Baltrusch dabei auf den Wandel der jüdischen Stellung im Perserreich nach der Eroberung durch Alexander den Großen und der Hellenisierung. Demnach war die Religion der Juden unter der Herrschaft der Achaimeniden nicht nur wie im babylonischen Exil ein Medium der inneren Einigung gewesen, sondern vor allem ein Mittel, Autonomie zu erlangen und zu bewahren und damit ein zutiefst politisches Phänomen.

Als ordnungspolitische Komponente entsprach die jüdische Religion, die Autonomie mit Loyalität verband, den Herrschaftsinteressen der Achaimeniden und wurde aus diesem Grunde privilegiert.

Die Situation wandelte sich unter den hellenistischen Herrschern in der Nachfolge Alexanders: In einer treffenden Skizzierung des „personal-victorialen“ Charakters des hellenistischen Königtums stellt Baltrusch heraus, daß die Religion der Juden ihre Ordnungsfunktion verloren hatte und ihre Stellung nur noch von der Toleranz des Herrschers abhing, was sie bald zu spüren bekamen. Hatte der Seleukide Antiochos III die jüdische Autonomie und die patrioi nomoi noch bestätigt, wurden sie 167 v.Chr. durch Antiochos IV durch ein Edikt verboten.

Die jüdische Reaktion führte in den Makkabäeraufstand und endete in einem autonomen, religiös ausgerichteten hasmonäischen Staat, der nach ersten Kontakten 164 v.Chr. mit Rom von der Mittelmeermacht als Bündnispartner unterstützt wurde.

Die Erwartungen, die von Seiten der Juden an das Bündnis mit Rom geknüpft wurden, betrachtet Baltrusch als das Kernproblem der Beziehung: Aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit der Willkür der hellenistischen Monarchen sahen die Juden die römische Republik nicht nur wegen ihrer militärischen Stärke, sondern vor allem infolge ihres anti-monarchischen Charakters und ihrer Verfassung als idealen Bündnispartner an, frei vom „Makel des Hellenismus“. Zudem ließen sie sich in einem entscheidenden Mißverständnis von Roms Propaganda der uneigennützigen Wahrung der Interessen ihrer Bündnispartner über die eigenen römischen Machtinteressen in der Region hinwegtäuschen.

In einer klarsichtigen, knappen Analyse der römischen Entwicklung zeigt Baltrusch auf, daß Konfliktpotential entstand, als der jüdische Staat in gänzlich hellenistischer Weise Machtpolitik zu betreiben begann und damit zum Gefahrenherd für Rom wurde.

Das entscheidende Mißverständnis stellte gemäß seiner Untersuchung jedoch die unterschiedliche Auffassung von Religion dar, die eine jüdische Integration in das römische Reich erschwerte.

Unter Gewährung von Religionsfreiheit verstanden die Römer demnach etwas grundsätzlich anderes als die Juden. Für die Römer war es eine unzulässige Politisierung des Religionsgedankens, daß die Juden sie als Mittel der Autonomiewahrung verstanden, was gegen die römische Reichsordnung verstieß.

Die Ursache der Kriege Roms gegen die Juden im ersten und beginnenden zweiten Jahrhundert n.Chr. sieht Baltrusch demzufolge in dem Widerspruch der historischen Erfahrungen verwurzelt: Den Juden war ihr Religionsverständnis ebenso daraus erwachsen wie den Römern ihr Herrschaftskonzept, das in einem grundlegenden Gegensatz zu der geforderten und religiös legitimierten Autonomie der Juden stand.

Baltruschs Untersuchung wird seinem Anspruch gerecht, das Forschungsdesiderat einer Untersuchung des Aufstandsjahrhunderts als Ganzen aufgrund intensiver Quellenforschung und historischer Analyse zu beheben. In überzeugender Weise liefert er mit ebenso profunder wie breitgefächerter Quellenkenntnis unter Einbeziehung neuester Forschung einen wichtigen Beitrag zu der Thematik.

Ein monokausaler Ansatz der Analyse ist indes in der Geschichtswissenschaft stets problematisch, liegt aber in diesem Fall auch darin begründet, daß die Religion, wie Baltrusch darlegt, die jüdische Identität ausmachte und von Beginn an ein Politikum gewesen war.

Fraglich ist allerdings Baltruschs These, daß die Mißverständnisse und damit auch die Konflikte hätten verhindert werden können, wenn die Römer und Juden durch ein gegenseitiges Studium ihrer Geschichte ihre Kenntnisse erweitert und die entsprechenden Lehren daraus gezogen hätten. Der Gang der Geschichte selbst hat zu oft bewiesen, daß der Glaube, der Mensch würde aus der Geschichte lernen, eine Utopie ist.