Tiere in der Antike

Mit der Intention, die enge Verbundenheit von Mensch und Tier in der Alten Welt in den Bereichen Mythos, Religion und Lebensalltag zu skizzieren, wirft Marion Giebel in einem geographisch, chronologisch und thematisch weit angelegten Überblick Schlaglichter auf die kulturelle Bedeutung und Funktion des Tieres in der Antike.
Der Streifzug durch die Kulturgeschichte des Tieres gestaltet sich dabei als ein kunterbuntes Sammelsurium anekdotenhafter Episoden und Beobachtungen, deren Auftakt die Behandlung des Themenfeldes 'Tiere und Götter' bildet. Ägyptische Götter in ihrer Darstellung als Tiergestalt, Ungeheuer und Mischwesen wie die Sphinx oder die in der Ilias erwähnte Chimaira, von den Philosophen als Sinnbild für die Ambivalenz des Menschen aufgegriffen, werden in ihrer teilweise janusgesichtigen Bedeutung vorgestellt und dabei auch in ihrer mythischen Ausformung hinterfragt. So verweist Giebel auf das Symbol des Initiationsrituals, das Theseus in seinem Gang durch das Labyrinth des Minotauros durchlebt habe.
Die folgenden Kapitel widmen sich dem 'Zentralpunkt, wo sich Götter, Menschen und Tiere begegneten: dem Opfer' (S. 31) als 'Mittelpunkt jeder Kulthandlung' (S. 49) in seiner historischen Entwicklung, der Ausführung und der psychologisierenden Deutung, an die sich ein Exkurs über die Stimmen der Kritik am Tieropfer schließt, die ihren Ausgangspunkt in den griechischen Philosophenkreisen nahm, von denen Pythagoras und seine Schule genannt werden, die sich für die gerechte Behandlung von Tieren als verwandte Artgenossen aussprachen.
Die Lehren der Philosophie bilden auch in den nächsten Kapiteln den Ausgangspunkt. Mit seiner dreigeteilten Schrift Historia animalium wird Aristoteles als 'Vater der Zoologie' sowie als Referenz für Brehms Tierleben vorgestellt. Die Konnotation als 'Tierpsychologe', die auch auf seinen Schüler Theophrast bezogen wird, erscheint indes als eine etwas anachronistisch anmutende Überinterpretation (S. 61-68). Negative und positive Auslegung 'tierischen Verhaltens' in der griechischen Philosophie sind am Beispiel Platons und seiner Warnung vor den animalischen Kräften im Inneren des Menschen ebenso wie am Beispiel des Diogenes und seiner Metapher, wie ein Hund die Athener Bürger wach bellen und beißen zu wollen, ebenso thematisiert wie an literarischen Erwähnungen von Tieren in Epos, Dichtung und Fabel.
Als römischer Vertreter einer Naturgeschichte wird Plinius der Ältere mit seiner Naturalis Historia vorgestellt, bei deren knapper Besprechung Caesars kuriose Theorie im Bellum Gallicum von den fehlenden Gelenkknochen der Elche, die sich zum Schlafen an einen Baum lehnen müssen, nicht fehlt.
In der Kollektion unterhaltsamer Anekdoten wird der Behandlung des Pferdes als unverzichtbares Tier im Bereich von Kriegswesen, Jagd, Sport, Repräsentation und Transport ein eigenes Kapitel gewidmet, ebenso wie Haus- und Schoßtieren, landwirtschaftlichen Nutz- und Speisetieren, Delikatessen für den Tafelluxus begüterter Römer, wie Varro und Columella von Pfauen oder Muränen berichten.
Unter der Kapitelüberschrift 'Geschichten von klugen Delfinen und anderen interessanten Tieren' werden kulturell und in ihrer traditionellen Symbolik so unterschiedliche literarische Überlieferungen wie die des Delfinreiters Arion, des sagenhaften Vogels Phönix und des verletzten Löwen in der Legende des Heiligen Hieronymus vereint.
Nach einer kritischen Betrachtung des Tieres als gefangenes, zur Schau gestelltes Objekt in römischen Arenen, Jagdgehegen und Tiergärten wird als positiver Kontrast die Haltung des griechischen Moralphilosophen Plutarch entgegengesetzt, der es als Unrecht bezeichnete, Tiere grausam und zu ihrem Schaden zu behandeln.
Die Präsentation der Vielfalt des Themas ist zwangsläufig aufgrund dieser Vielfalt eine Kompilation, die jedoch auch für einen schlaglichtartigen Überblick zu breit angelegt scheint und daher an der Oberfläche bleiben muß. Zudem hat die präsentierte Vielfalt den Nachteil, dass Tiere in ihrer zoologischen Betrachtung als Lebewesen und ihrer derartigen Beziehung zum Menschen im gleichen Zuge mit mythischen Fabelgestalten und Symbolen behandelt werden, bei denen die Tiergestalt als bloße Metapher zu betrachten ist und die daher in einen anderen Kontext gehören. Die Gedanken der Philosophenkreise, die menschliches mit tierischem Verhalten kontrastieren oder vergleichen, gelten weniger der Beschäftigung mit dem Tier per se als der Kritik am Verhalten und der Überlegungen zu Natur und Charakter des Menschen als dem Maß der Dinge, ebenso wie in antiken Tierhumoresken literarische epische Vorbilder und somit menschliches Handeln parodiert werden.
In diesem Sinne fehlt auch ein systematischer Unterpunkt zu der Thematik des Tieres als Macht-, Status- und Herrschaftssymbol in seinem politischen und propagandistischen Gehalt, die nur vereinzelt angerissen wird.
Die Schlußfrage 'Sind Tiere nicht doch bessere Menschen?' ist legitim und bildet eine Anknüpfung zu Tertullians Kritik an den Zuschauern von blutigen Kämpfen in der römischen Arena, die selbst die wilden Tiere seien, deckt zugleich jedoch eine moralisierende Tendenz auf, die mit Fragestellungen und Denkschemata bezüglich Tierschutz, Tierpsychologie und Zivilisationskritik einhergeht, die aus der modernen Perspektive völlig verständlich und folgerichtig sind, angewandt auf die antike Welt jedoch Gefahr laufen, anachronistisch und aufgepfropft zu wirken.