'Walter Benjamin hat sich das Leben genommen'. 'Juden sterben in Europa und man verscharrt sie wie Hunde.' (S. 10) Mit dieser Nachricht von Hannah Arendt an Gerschom Scholem vom 21.10.1940 beginnt der Briefwechsel zwischen zwei deutsch-jüdischen DenkerInnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die scharfzüngige politische Theoretikerin und der zionistische Kabbalahforscher.
Was sie über die ihre politischen Unterschiede und die Distanz zwischen den USA und Jerusalem verbindet, ist zunächst die gemeinsame Freundschaft zu Walter Benjamin und die Sorge um die Publikation seines Nachlasses. Vereint durch das Misstrauen gegenüber Adorno und Horkheimer, deren Institut für Sozialforschung große Teile des Benjamin'schen Nachlasses verwahrt, suchen sie nach alternativen Publikationsmöglichkeiten. Arendt gibt ihrer persönlichen Abneigung dabei mit deutlichen Worten Ausdruck, wenn sie Adorno und Horkheimer als 'die Bande' (S. 107) oder die 'Haifische[ ] vom Institut' (S. 129) bezeichnet und befürchtet, sie würden Benjamins Texte für eigene Arbeiten ausbeuten.
Am Thema des Zionismus entzünden sich die Hauptstreitpunkte des Briefwechsels. Der erste Konflikt entsteht 1946 über Arendts Essay 'Zionism revisited', für den Scholem ihr kommunistischen Antizionismus und Diaspora-Nationalismus vorwirft, während Arendt ihr Unverständnis für Scholems zionistische 'Weltanschauung' äußert: 'Wie ist es moeglich, dass ein Mensch sich sein Leben lang mit Philosophie und Theologie beschäftigt und ernsthaft beschaeftigt, und dann ' sich als Bekenner eines Ismus herausstellt.' (S. 107)
Nach dieser 'Ehrlichkeits-Orgie' (Arendt, S. 110) sind beide um Deeskalation bemüht. Neben die Sorge um Benjamins Nachlass tritt nun als verbindendes Element ihre Zusammenarbeit für die Organisation Jewish Cultural Reconstruction (JCR). Es ist ein großer Verdienst dieser Briefausgabe, die Dokumente dieses Engagements für die Rettung beschlagnahmter und erbenloser jüdischer Kulturgüter in Deutschland und den ehemals besetzen Gebieten erstmals zugänglich zu machen. Neben den Briefen aus den Jahren 1949-1951 sind im Anhang 'Field Reports' abgedruckt, die Arendt in dieser Zeit verfasst hat. Eingeordnet wird die Arbeit der JCR durch einen geschichtswissenschaftlichen Aufsatz von David Heredia.
Letztendlich zerbricht die Freundschaft an der Auseinandersetzung um Arendts Buch über den Eichmann Prozess in Jerusalem 1963. Scholem reagiert mit vehementer Kritik auf das, was er als 'Hohn auf den Zionismus', als 'Herzlosigkeit und Sicherheit im Urteil' über einmalige historische Umstände, als 'ins demagogische ausartendes Overstatement' (S. 431), vorgetragen in einem oft 'herzlose[n], hämische[n]Ton' (S. 429) ansieht, wobei er Arendts Schlagwort von der 'Banalität des Bösen' als Verharmlosung missversteht. Seine Kritik und Arendts Entgegnung erscheinen als vorletzte Briefe öffentlich in der Zeitschrift 'Hitachdut Olej Germania' in Jerusalem und anschließend in der NZZ. Arendts Antwort ist ihre einzige öffentliche Replik auf die Kritik, die sie von vielen Seiten erhalten und als eine 'von oben gelenkte Kampagne' (S. 450) wahrgenommen hat. Scholem macht noch das Angebot sich anlässlich seiner Leo Baeck Lecture über Walter Benjamin im Oktober 1964 in New York zu treffen. Hier endet der Briefwechsel.
Deutlich zeigen die Briefe das unterschiedliche Temperament ihrer AutorInnen. Es ist Arendts Scharfzüngigkeit und Urteilsfreude, die ihre Briefe so viel amüsanter zu lesen macht. Verbunden sind diese Eigenschaften jedoch immer mit der Hochachtung des Menschlichen und der Freundschaft. 'Wut' und mit ihr verbundener 'Spass' (S. 188) erscheinen als Motoren von Arendts kritischen, intellektuellen und politischen Engagements. Scholem entpuppt sich hingegen ein wenig als Bildungsbürger, dessen oft gestelzter Ausdruck Arendts Schärfe allerdings in nichts nachstehend, wenn der Zionismus betroffen ist. Interessant sind einige Genderaspekte, die es in den Briefen zu entdecken gibt. Während Scholem schreibt: 'Ich hoffe, Sie werden Gelegenheit haben, mich zu zitieren.' (S. 421), übt Arendt sich in Rücksicht für seine Konstitution: 'Ich habe Ihnen Ihren Brief wirklich nicht im mindesten uebel genommen; weiss aber nicht, wie Sie es mit meinem halten werden. Schliesslich sind Sie masculini generis und daher natuerlicherweise (vielleicht) verwundbarer.' (S. 110f.)
Der vorliegende Briefband umfasst erstmals alle bekannten Briefe, Telegramme und Postkarten und wird von einem umfangreichen Anhang ergänzt. Der Aufsatz der Herausgeberin und freien Publizistin Marie Luise Knott konzentriert sich auf die weniger bekannten Gemeinsamkeiten von Scholems und Arendts Weg. Dies ist ein spannender Ansatz, der allerdings die Hintergrundinformationen zu ihren beiden Hauptkonflikten zu allgemein darstellt. Hervorzuheben ist die sehr gute Kommentierung, die direkt im Anschluss an jeden Brief in Fußnoten erfolgt. Englischsprachige Briefe sind im Anhang übersetzt, einige Schwarzweißphotographien und ein Personenregister mit Kurzbiographien vervollständigen die praktikable Edition.
Die Briefausgabe ist ein sehr zu empfehlendes, historisches Zeitdokument, das einen spannenden Einblick in die streitbaren Persönlichkeiten dieser beiden deutsch-jüdischen DenkerInnen sowie den Versuch jüdischen Weiterlebens und Weiterdenkens nach der Schoa gibt.