Die Verfolgungsgeschichte und Identitätsproblematik von 'Mischlingen' und jüdischen 'Mischehepaaren' in der NS-Zeit ist bisher trotz der Forschungen von Beate Meyer noch nicht hinreichend aufgearbeitet worden. In den Augen der nationalsozialistischen Rasseideologie stellten sie eine fest umrissene Gruppe dar, aufgrund der Religionszugehörigkeit der Großeltern wurde der Anteil an 'jüdischem Blut' eines Menschen bestimmt. Tatsächlich lebten 'Mischlinge' und 'Mischlingsfamilien' jedoch zahlreich und verstreut inmitten der deutschen Gesellschaft, keineswegs als biologisch fundierte Einheit abgrenzbar.
Die Publikation 'Der halbe Stern' thematisiert in 18 Beiträgen unter interdisziplinären und transgenerationellen Aspekten die Lebens- und Verfolgungsgeschichten der Menschen, die aufgrund ihrer teiljüdischen Herkunft oder Familienzugehörigkeit in das Netz rassistischer Verfolgung gerieten. Sie sind das Ergebnis der Tagung 'Sag bloß nicht, daß du jüdisch bist', die der Verein 'Der halbe Stern e.V' im März 2009 in Berlin veranstaltete. Die Autoren sind Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und Mitglieder aus betroffenen Familien der ersten und zweiten Generation.
Das Themenspektrum der Beiträge umfasst sowohl die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des 'antijüdischen Affekts' und der 'Judenfrage', die eng mit der Angst vor dem 'unsichtbaren' ' weil säkularisierten oder konvertierten ' Juden verknüpft sind, als auch vor allem die differenzierte Betrachtung der spezifischen Gefährdungs- und Überlebenssituation der jüdischen 'Mischlinge' und 'Mischehepartner'. Die ' häufig bis heute andauernde ' Identitätsproblematik der Betroffenen wird differenziert aus persönlich-biografischer und psychologisch-wissenschaftlicher Sicht thematisiert.
Die Autoren machen deutlich, dass die 'privilegierten Rechtlosen' (S. 151), wenngleich sie nicht generell deportiert und getötet wurden, dennoch unter einem erweiterten und oftmals willkürlich ausgeübten Sonderrecht standen, das sie tendenziell aus der Mehrheitsgesellschaft ausschloss. Seit 1933 waren sie zunehmend wirtschaftlich ausgegrenzt, und als Schutzschild für jüdische Elternteile oder Verwandte gerieten sie oft in bedrohliche Situationen. In Ausnahmefällen wurden auch sie zusammen mit den in der rassistischen Nomenklatur der Nazis als 'Volljuden' klassifizierten Menschen ermordet. Christen jüdischer Herkunft stellten mehr als 80 Prozent der Verfolgten teiljüdischer Herkunft, sie wurden auch wie Angehörige der jüdischen Gemeinden verfolgt. Sich unauffällig zu verhalten und die jüdische Herkunft möglichst verborgen zu halten, konnte daher unter Umständen überlebensnotwendig sein. Dass dies oftmals Konsequenzen ebenfalls für die nachfolgenden Generationen hat, belegen vor allem die Berichte über und von Betroffenen der zweiten und dritten Generation. So wurde in den Familien über die Erlebnisse und Erfahrungen im Nationalsozialismus und auch über die (teil)jüdische Identität teilweise jahrzehntelang geschwiegen. Bis heute verspüren einige ein unausgesprochenes Verbot, über diese Dinge zu sprechen. Für die Kinder und Enkelkinder der Betroffenen ist die Suche nach einer Identität ein oft jahrelanger Prozess, ein langsames Herantasten an die Familiengeschichte. Die verschiedenen Aspekte der Identitätsproblematik fassen Gensch und Grabowsky als 'Leitmotiv des spannungshaften und widerstreitenden Verhältnisses von (oft fragiler) Selbstzuschreibung und fixierend-stigmatisierender Fremdzuschreibung' (S. 10) zusammen. Die Betroffenen selbst beschreiben es als Gefühl sich 'zwischen den Stühlen' zu befinden und 'immer etwas fremd' zu sein. (S. 9)
'Der halbe Stern' versammelt höchst aufschlussreiche und beachtenswerte Beiträge, die ihrem Anspruch, einen disziplinen- und generationenübergreifenden Überblick über das komplexe und vielschichtige Thema der Verfolgungsgeschichte und Identitätsproblematik der Menschen mit teiljüdischer Herkunft zu geben, absolut gerecht werden. Das Buch enthält außerdem eine äußerst sehenswerte DVD mit einem moderierten Gespräch mit fünf Zeitzeugen.