Akademisch ist Heinrich Wölfflin eine der herausragendsten Kunstgeschichtler in der Nachfolge Jakob Burckhardts. Seine 'Kunstgeschichtlichen Begriffe' erschienen in unregelmäßigen Abständen seit 1915. 1943 legte der Autor zum letzten Male korrigierend und erweiternd Hand an seine Arbeit. 11 unveränderte Auflagen später ist seine typologische Forschung zur Formensprache wiederum erhältlich, verantwortlich herausgegeben von Joseph Gantner.
Wölfflins Credo ist 'Man sieht nur, was man sucht, aber man sucht auch nur, was man sehen kann', weshalb sein Werk auch als eine Geschichte des Auges und der Wahrnehmung gelten kann. Seine Methodologie versucht, eine 'Grammatik und Syntax des Sehens' zu konstruieren. Sehen als Lern- und Verstehensprozess ist denn nach seiner Überzeugung in der künstlerischen Sinneswahrnehmung ein zeitgeschichtliches Produkt. Auf der einen Seite steht die außerkünstlerische Welt, mit Wirkung auf die Kunst, auf der anderen ein eigenen Regeln folgender Entwicklungsprozess der Kunst selbst. Dieser stete Wandel, als treibende Kraft aus sich selbst heraus, korrespondiert mit Geschichte, allerdings als eine davon unabhängige, eigenständige Größe. Mit dieser Annahme hat Wölfflin die Kunstgeschichte von der Historiographie getrennt.
Seine 'Grundbegriffe' gehen in der kunstgeschichtlichen Betrachtung von Kontrastpaaren aus, die einmal Lineares und Malerisches, ein anderes Mal Fläche und Tiefe oder geschlossenen und offenen Form wie auch Klarheit und Unklarheit sein können. In diesem Rahmen konstruiert Wölfflin seine 'Sprache des Visuellen', die eine Art Eigenleben des Auges postuliert.
Seine stark psychologisch und linguistisch geprägte Ansicht von visuellen Wahrnehmungen sind unter dem Aspekt der Auseinandersetzung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften Ende des 19. Jahrhunderts nachvollziehbar, gegenwärtig hat sich die akademische Kunstgeschichte jedoch in andere Richtungen weiterentwickelt.