Anzuzeigen sind die abschließenden Bände 6 bis 8 des einzigartigen Bio-bibliographisches Handbuchs zur Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts. Einzigartig ist das Handbuch deshalb, weil nun für den deutschen Sprachraum erstmals ein biographischer und bibliographischer Überblick über ein ganzes Jahrhundert der Sprachforschung vorliegt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß die Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts alles andere als 'vorwissenschaftlich' ist, dann hätte ihn das Handbuch mit seinen Hunderten von Einträgen auf über 2000 Seiten leicht erbracht. Zum Aufbau und zur Zielsetzung des Handbuchs vergleiche man meine Besprechung der ersten fünf Bände in: WLA 38 Heft 2 (1999), S. 33.
Die Mehrzahl der 'großen Namen' der Sprachforschung des 18. Jahrhunderts ist bereits in diesen ersten Bänden enthalten. Adelung, Gottsched, Campe, aber auch Aichinger, Bodmer und Breitinger, sie alle sind bereits in den frühen 90er Jahren bearbeitet worden. Gleiches gilt für die Erforscher der außereuropäischen Sprachen, wie etwa für Georg Friedrich Grotefend, dem im 3. Band einer der längsten Artikel des Handbuchs gewidmet wird. Auf bekannte und bekanntere Persönlichkeiten stößt man daher in den Artikeln der abschließenden drei Bände etwas seltener. Zu nennen wären allenfalls Moses Mendelssohn, Justus Möser, Karl Philipp Moritz, Christoph Friedrich Nicolai, August Wilhelm und Johann Heinrich Schlegel sowie Christian Wolff und damit Persönlichkeiten, die auch, aber nicht in erster Linie als Sprachforscher hervorgetreten sind. Aus dem engeren Kreis der Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts kommen hier allenfalls noch Johann Siegmund Valentin Popowitsch und Johann Severin Vater hinzu. Dies mindert nun aber keineswegs den Wert der Bände 6 bis 8. Im Gegenteil: Gerade erst durch die große Zahl der Forscher, die einer breiteren Öffentlichkeit, im Regelfall auch der Fachöffentlichkeit, unbekannt geblieben sind, wird das Fundament sichtbar, auf dem die moderne Sprachwissenschaft ruht.
Dabei geraten fast alle modernen europäischen Sprachen in den Blick, aber auch frühe Forschungen zum Koptischen, Arabischen und Hebräischen. Ebenso Sprachtheorie und Universalgrammatik (etwa Johann Werner Meiner, Moses Mendelssohn oder Samuel Heinrich Friedrich Neubauer), verschiedene Fachsprachen (etwa Philipp Andreas Nemnich, dessen Texte im Grimmschen Wörterbuch intensiv ausgewertet wurden) und Dialekte (Karl Marie Ehrenbert Freiherr von Moll, Johann Moller, Johann Nast). Des weiteren Grammatiken für das Deutsche als Fremdsprache (Johann Friedrich Nagell für Polen) und die sprachwissenschaftlichen Ergebnisse der großen Forschungs- und Entdeckungsreisen (Gerhard Friedrich Müller für Sibirien). Gerade die Forschungsreisen und ihre Auswertung sind auch in sprachwissenschaftlicher Hinsicht charakteristisch für den Geist dieses universellen Jahrhunderts. Schon im frühen 19. Jahrhundert scheinen dann Respekt vor und Interesse für fremde Kulturen deutlich abzunehmen. Beispielhaft ist dies abzulesen an den mineralogischen grönländischen Forschungsreisen des Karl Ludwig Giesecke (1806f.), der zwar als Autor zahlreicher Bühnenstücke ein sprachsensibler Mensch war ' das Gerücht, er sei der 'eigentliche' Librettist der 'Zauberflöte' hält sich hartnäckig ', sich aber für die Sprache und Kultur der Inuit wohl kein bißchen interessiert hat.
Auch das in WLA 38 begonnene Verzeichnis der deutschen Schriftsteller und Dichter, die mit sprachwissenschaftlichen Arbeiten hervorgetreten sind, läßt sich nun erweitern. Meist nehmen sie Stellung zu Fragen der Norm der sich herausbildenden Standardsprache. Aber auch Fragen von Orthographie und Metrik spielen eine Rolle. An den Rändern stehen Forsters Sprachreflexionen in seinen Reisebeschreibungen und die weitreichenden sprachtheoretischen Vorstellungen des Karl Philipp Moritz. Ein solcher thematischer Überblick, wie er sich auch für viele andere Bereiche herstellen ließe, wäre ohne das Bio-bibliographische Handbuch kaum denkbar. Aus dem Kreis der Schriftsteller und Dichter werden genannt:
Barthold Heinrich Brockes, Gottfried August Bürger, Johann Georg Adam Forster, Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, Christian Gryphius, Albrecht von Haller, Christian Friedrich Hunold, Friedrich Gottlieb Klopstock, Jakob Michael Reinhold Lenz, Gotthold Ephraim Lessing, Karl Philipp Moritz und der in hebräischer Sprache dichtende Salomon Pappenheim. Hinzu kommen Johann Heinrich Voß, der Verfasser des 'Belphegor' Johann Karl Wezel und Christoph Martin Wieland. Diese drei zuletzt genannten haben allerdings keinen eigenen Artikel erhalten, sondern sind nur im Anhang erwähnt. Dort erscheinen Autoren, deren Hauptwerk entweder nicht im 18. Jahrhundert liegt oder die 'nicht im Sinne des Handbuchs sprachwissenschaftlich, sondern nur philologisch' tätig waren. Zumindest was Wieland und Wezel betrifft, die wichtige und vieldiskutierte Beiträge zur Frage 'Was ist Hochdeutsch?' verfaßt haben, kann man den Ausschluß nicht leicht nachvollziehen. Da sich die Frequenz der Ausschlüsse gegen Ende des Handbuchs auch insgesamt deutlich erhöht, mag der Gedanke mitgespielt haben, das Handbuch nach mehr als 25jähriger Bearbeitungszeit endlich zum Abschluß zu bringen. Die Aufnahmekriterien werden zum Ende hin wohl deutlich enger gefaßt. Nicht einmal im Anhang befinden sich allerdings Hinweise auf Jean Paul und Novalis.
Auch könnte man Gottlieb Wilhelm Rabener (1714'1771) vermissen und dessen 'Versuch eines deutschen Wörterbuchs'. Nach den Kriterien des Handbuchs folgerichtig ist dagegen wohl der Ausschluß von Gottfried Wilhelm Leibniz, weil der Schwerpunkt seines Werks trotz der 'Unvorgreifflichen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache' von 1697/1717 im 17. Jahrhundert liegt. Auch die im Jahre 1699 in Halle gedruckte Grammatik 'Les principes de la langue française ou Grammaire méthodique pour l'usage de la jeunesse' der Sprachlehrerin Louise Charbonnet fällt den engen Kriterien des Handbuchs zum Opfer, da sie eben ein Jahr vor dem Beginn der Bearbeitungszeit erschienen ist. Ein Handbuch von solchen Ausmaßen muß aber wohl ' wenn es überhaupt abgeschlossen werden soll ' einige Kompromisse eingehen. Um so mehr ist nun die zeitgenössische Sprachwissenschaft aufgerufen, die Schätze zu heben, die Herbert E. Brekle und seine Mitarbeiter geortet und katalogisiert haben. Sie würde vermutlich die Jahre nach 1648 genauer in den Blick nehmen müssen und zumindest das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts schon als Vorbote einer neuen Zeit verstehen. Jeder an der Geschichte von Sprachwissenschaft und Sprachtheorie, aber auch jeder am 18. Jahrhundert insgesamt Interessierte wird das Handbuch immer wieder dankbar befragen.