»Wir sind die späten Erben des Schönen, das ewig währt«
Michael Stettler und Rudolf Fahrner. Eine Dicherfreundschaft in Briefen

Weder Michael Stettler noch Rudolf Fahrner dürften heute einem größeren Publikum in Deutschland bekannt sein. In der Schweiz, insbesondere in Bern, hat allerdings zumindest der Name Michael Stettler weiterhin einen guten Klang, war er doch von 1948-1961 Direktor des Historischen Museums Bern, dann Mitbegründer und erster Direktor der Abegg-Stiftung mit einem Museum für Textilien und angewandte Kunst in den Berner Voralpen und ein innovativer Architekturhistoriker, der sein Fach in zahlreichen Publikationen mit Kunst- und Geistesgeschichte in Beziehung setzte und denkmalpflegerische Aufgaben entwickelte. Am 1. Januar 2013 hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert, der Band ist daher auch eine Art Jubiläums- oder Gedenkschrift, herausgegeben von Stefano Bianca, dem Verwalter des literarischen Nachlasses von Stettlers zehn Jahre älterem Briefpartner Rudolf Fahrner. Beide verband eine jahrzehntelange Freundschaft, beide standen in ihren jungen Jahren in Kontakt mit Stefan George und beide haben neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit mehr oder weniger im Verborgenen Gedichte geschrieben und – wie man nun sehen kann – auf ihre Weise einen nicht unbedeutenden Beitrag für die Bewahrung „des Schönen“ in der Welt geleistet.

Dass Rudolf Fahrner beinahe in Vergessenheit geraten ist, gehört zu den Seltsamkeiten der deutschen Kulturlandschaft. Fahrner war von 1934 bis 1936 als Nachfolger Gundolfs und Richard Alewyns ao. Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Heidelberg und hat seine Position aus politischen – offiziell aus gesundheitlichen – Gründen in sehr mutiger Weise aufgegeben. 1939 wurde er zum Leiter des „Deutschen Wissenschaftlichen Instituts“ in Athen ernannt, was in der Nachkriegszeit als Zustimmung zum nationalsozialisti­schen Deutschland aufgefasst wurde. Allerdings war das Gegenteil der Fall; auf fast 50 Seiten seiner Gesammelten Schriften (vgl. dazu WLA-online 2015: http://www.wla-online.de/katalogdetail/items/2950.html) zeichnet Fahrners einen bewegenden Einblick in seine griechische Lebensphase, es entstehen auch hier – was für den vorliegenden Briefband nicht unwichtig ist – nicht zuletzt zahlreiche Übersetzungen der klassischen und neugriechischen Literatur. Von Griechenland aus stand er nicht nur in Kontakt mit Michael Stettler, sondern auch mit den Stauffenberg-Brüdern und war in ihre Pläne eingeweiht. Die vorbereiteten Aufrufe „An das kämpfende Heer“ und „An die Deutschen“ sind wohl maßgeblich von Fahrner formuliert worden. Frank-Rutger Hausmann fasst in seiner kritischen Betrachtung der Deutschen Wissenschaftlichen Institute Fahrners Rolle so zusammen: „Das Athener DWI unterschied sich jedoch von allen anderen seines Namens, denn es darf wegen der Persönlichkeit seines Leiters und der Mitarbeiter, die ihm nahe standen, als eine Schaltstelle des Widerstandes bezeichnet werden“.[1] Dennoch ist Fahrner in Deutschland lange Zeit nahezu vergessen gewesen, sein Nachlassverwalter Stefano Bianca hat an der Überwindung dieser Ungerechtigkeit großen Anteil. Auch die vorliegende Ausgabe fügt sich in diesen Kontext ein.

Der vom Herausgeber ausführlich kommentierte Briefwechsel zwischen Michael Stettler und Rudolf Fahrner ist ein bewegendes Zeugnis der Freundschaft zwischen zwei Menschen, denen das Leben in der Dichtung und aus der Dichtung ein tiefes Bedürfnis war. Zugleich ist er ein Dokument, das eine ungewöhnlich frische und authentische Sicht auf das Nachleben des George-Kreises in den Jahrzehnten nach 1945 vermittelt. Knapp vierzig Jahre lang, bis zum Tod Fahrners 1988, hält der Austausch der Dichterfreunde an. Trotz ihrer räumlichen Tren­nung – Fahrner lehrte zunächst acht Jahre in Ankara, später in Kairo, bevor er nach Karlsruhe berufen wurde – zeugt die Korrespondenz von ihrer engen geistigen und persönlichen Verbundenheit. In ihren Briefen streifen sie Alltägliches – Fahrner berichtet viel von seinen Reisen im Orient –, befassen sich aber vor allem mit dem Entstehen neuer Lyrik, mit Kommentaren, pflegen Rede und Widerrede und einen liebevollen dichterischen Wettstreit. Die „Dichterfreundschaft in Briefen“ sei allen ans Herz gelegt, denen Dichtung, Freundschaft und Briefe auch heute noch etwas bedeuten.



[1] Frank-Rutger Hausmann: „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“, S. 255. Zu Fahrner vgl. jetzt auch Jörg Riecke, Eine Geschichte der Germanistik und der germanistischen Forschung in Heidelberg, Heidelberg 2016.