Die Augsburger "Allgemeine Zeitung"
Mikrofiche-Edition

Das im Cotta-Archiv aufbewahrte Redaktionsexemplar der Augsburger 'Allgemeinen Zeitung' ist durch die den Artikeln beigeschriebenen Verfassernamen ein Unikat von ungewöhnlichem historischen Rang. Erst das ab 1807 überlieferte Redaktionsexemplar und die dazugehörigen Register der Honorarempfänger im Cotta-Archiv erschließen den vollen Quellenwert der Zeitung, weil nur hier die Namen der durchweg anonym gedruckten Zeitungsartikel aufgelöst sind. Das 'Deutsche Literaturarchiv' in Marbach hat daher dankenswerterweise den gesamten Textbestand durch eine Schutzverfilmung gesichert und auf Mikrofiches gespeichert. Gegenstand dieser Besprechung ist ein vom K.G. Saur Verlag zur Verfügung gestellter Musterfiche aus dem Supplement der Jahre 1867'1871 und ein dazu gehöriges gedrucktes 'Register der Beiträger / Mitteiler', das auch den Inhalt des Supplements erschließt.
Die Verfilmung der Augsburger 'Allgemeinen Zeitung' ist höchst verdienstvoll, denn sie gehört im 19. Jahrhundert unbestritten zu den wichtigsten und einflußreichsten Tageszeitungen im süddeutschen Raum. Nach Vorläufern mit verschiedenen Namen an verschiedenen Orten erscheint sie ab 1810 in Augsburg. Bereits 1794 entwickelt der spätere Herausgeber Johann Friedrich Cotta den Plan einer 'politischen Zeitung von großem und völlig neuem Stil' und versucht Friedrich Schiller für seinen Plan zu gewinnen. Schiller schwebte jedoch bekanntlich eine rein literarisch-poetische Zeitschrift vor. Aus diesen Anfängen entstehen bei Cotta einerseits die 'Horen', andererseits als politische Zeitung ab 1795 die Monatsschrift 'Europäische Annalen', aus der ab 1797 eine 'Allgemeine Zeitung' wird, die unter dem Titel 'Neueste Weltkunde' seit dem 1.1.1798 als Tageblatt in Tübingen gedruckt wird. Sie beginnt mit einer Auflage von 1400 Exemplaren und überschreitet erstmals 1841 die 10.000 Marke. Die letzte Ausgabe erscheint am 1.3.1925 in München. Mit ihrem redaktionellen Profil und ihrer raisonnierenden Berichterstattung gilt sie als Wegbereiterin des modernen Journalismus in Deutschland.
Wer heute in dieser Zeitung blättert, erkennt sofort, welch großes kulturgeschichtliches Potential hier auf seine Auswertung wartet. Das betrifft in erster Linie den Inhalt der einzelnen Artikel. Darüber hinaus wird mit der Edition aber auch ein umfangreiches Textkorpus geschaffen, das wichtige Hinweise auf den öffentlichen Sprachgebrauch und die Sprachkultur des 19. Jahrhunderts geben kann. Selbst der kurze Ausschnitt auf dem beigegebenen Fiche Nr. 1761 für den Zeitraum vom 28.1. bis 8.2.1871 macht dies an mehreren Stellen deutlich.
Es folgen einige Bemerkungen zum beigegebenen Register: Die 'Allgemeine Zeitung' besitzt seit 1823 'Nominal- und Sachregister', die den Benutzern einen systematischen Zugriff nach Ländern, Ereignissen und Personen eröffnen. Allerdings können diese Register noch nicht den gesamten Quellenwert der Zeitung freilegen, weil in der Zeitung selbst stets sowohl die Anonymität ihrer Quellen als auch ihrer Korrespondenten gewahrt wird. Allein die handschriftlichen Einträge im Redaktionsexemplar, das im Verlag zum Zwecke der Honorarabrechnung geführt wurde, enthält die unverschlüsselten Namen aller Beiträger. Diese Namen wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts aus redaktions-praktischen Gründen zusammengeführt. Dieses Register wurde nun grundlegend neu bearbeitet, wobei vor allem redaktionelle Floskeln wie 'Correspondent' oder 'Neuer Correspondent' aufgelöst und Unsicherheiten bei Namengleichheit und unterschiedlicher Schreibungen eines Namens behoben werden mußten. Für alle Autoren und Mitteiler wurde nun, sofern sie identifiziert werden konnten, ein 'Biographisches Profil' erstellt, das die Angaben des alten Registers um Vornamen und Lebensdaten, Bezeichnungen für Berufe und akademische Titel und ' bei den Korrespondenten ' um die Wirkungsorte ergänzt. Es folgt die Auflistung des Jahrgangs und der Nummer des Supplements, in der die betreffende Person einen Artikel verfaßt hat. In der Regel wird mindestens auch beispielhaft eine Artikelüberschrift genannt, um den Verfasser im Zusammenspiel mit den biographischen Daten zumindest grob einordnen zu können. Das Register wird so zu einer Fundgrube für die Rekonstruktion vieler Diskursgeschichten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 'Wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung' sind die Beitrags-Titel einiger Autoren zudem vollständig erfaßt worden. Das betrifft unter anderem die Artikel von Ferdinand Freiligrath, Julius Fröbel, Friedrich Wilhelm Christian Gerstäcker, Georg Gottfried Gervinius, Ferdinand Gregorovius, Karl Gutzkow, Justus von Liebig, Eduard Mörike, Leopold von Sacher Masoch, Josef Victor von Scheffel, Friedrich Schiller, Johann Ludwig Schliemann, Christoph Bernhard Levin Schücking, Heinrich Gotthard von Treitschke, Friedrich Theodor Vischer und Ernst Christian Wilhelm Wattenbach. Es handelt sich meist, aber nicht ausschließlich (so etwa Friedrich Schiller: 'Die Herzogin von Zelle' und 'Rosamund oder die Braut der Hölle. Balladen Entwurf') um Originalbeiträge.
Die Definition der 'außerordentlichen Bedeutung' eines Autors wird an den Rändern immer unscharf bleiben. Berücksicht man auch ihre Rezeptionsgeschichte, so hätte sicher auch etwa Felix Ludwig Julius Dahn in diese Gruppe gehört. Wirklich störend sind dagegen schon eher die gelegentlich etwas zusammengewürfelt wirkenden biographischen Angaben. Während Eduard Mörike durch die Attribute 'Pfarrer, Dichter' ' in dieser Reihenfolge ' vielleicht noch angemessen gekennzeichnet ist, verblüfft ' besonders im Vergleich ' die Charakterisierung von Friedrich Schiller als 'Schriftsteller, Historiker (Jena, Weimar)', hier zudem mit der unzutreffenden Angabe '(1859'1805)'. Ganz vereinzelt enthält das Register auch Hinweise auf Autorinnen, so auf Henriette Feuerbach, Louise von Liebig, Olga Müller und Julie Neumann. Es finden sich unter den Autoren auch der Münchener Orientalist Martin Haug (1827'1876), der etwa über 'Brahma und die Brahmanen', 'Die Geographie des alten Indien' oder über den 'Lehrstuhl für Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität München' schreibt; ebenso ' mit Titeln wie 'Der Suez-Kanal im Altertum' oder 'Die älteste Universität der Welt' ' der Ägyptologe Franz Joseph Lauth (1822'1895), der als Konservator der Münchener ägyptischen Sammlung hervorgetreten ist. Unschwer läßt sich hier ablesen, daß die Interessen des deutschen Bürgertums noch in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts weiter gespannt waren, als sie es heute mehrheitlich sind. Von einem besonderen germanistischen Interesse sind darüber hinaus die Beiträge von:
Michael Bernays, Reinhold Bechstein, Philipp Moriz Carrière, Georg Curtius (mit einem Nachruf auf August Schleicher), Ludwig Moritz, Phillip (eigentlich Lazarus Abraham) Geiger, Rudolf Hildebrand, Konrad Hofmann, Wilhelm Ludwig Holland, Ernst Martini, Konrad Maurer, Hermann Riegel, Wilhelm Scherer, Hugo Ernst Mario Schuchardt, Karl Simrock, Friedrich Wilhelm Storck und Friedrich Wilhelm Unger. Sie werden im Register teils als 'Germanist', teils als 'Philologe' ausgewiesen. Das Register zeigt damit eindrucksvoll, mit welcher Intensität die hier genannte, überwiegend germanistische Professorenschaft über das Medium der 'Allgemeinen Zeitung' an öffentlichen Diskursen teilgenommen oder germanistische Themen für ein breiteres Publikum popularisiert hat. Diese oft vergessene Seite der Universitätslehrer müßte in der Wissenschaftsgeschichte des Faches in Zukunft sicher stärker berücksichtigt werden. Dazu liefert das Register nun einen exemplarischen Schlüssel. Allerdings ist dieses Register, das insgesamt recht zuverlässig ist, in vielen Fällen ohne Vorkenntnisse nur schwer benutzbar. Die Angaben der 'Biographischen Profile' sind nämlich auch in dieser Gruppe etwas uneinheitlich. Es enthält gelegentlich sehr detaillierte Angaben, wie z.B. 'Goethe-Forscher' (Geiger) und 'Literarhistoriker' (Scherer), mal aber nur sehr allgemeine Angaben wie 'Historiker, Philologe' (Bernays), die in beiden Fällen nur eben zum Teil zutreffen. Vereinzelt sind Familiennamen (Martini statt recte Martin), Vornamen (Moritz statt recte Moriz Haupt) und Lebensdaten (1823'1902 statt recte 1822'1891 [von] Maurer; 1840'1886 statt recte 1841'1886, Scherer) zu korrigieren oder Titel wie Dr. (Simrock) und Prof. (Hildebrand, Scherer, Schuchardt) zu ergänzen. Bei Konrad Hofmann ist die Abfolge von Titel und Lebensdaten vertauscht, unmotiviert sind auch einzelne Differenzierungen in 'Dr.' und Dr. 'phil.', etwa bei Ernst Martin. Beim Kunsthistoriker Hermann Riegel unterbleibt der Hinweis auf seine Rolle als Begründer des 'Allgemeinen Deutschen Sprachvereins', die ihn erst in diese Zusammenstellung führt. Wünschenswert wäre es natürlich auch, im 'Biographischen Profil' besonders auch die Tätigkeit der Beiträger in den Jahren 1867'1871 herauszustellen. Nur so versteht man, aus welcher aktuellen Position heraus ein Text verfaßt wurde. Hilfreich wäre an allen betreffenden Stellen ein Hinweis auf das 'Internationale Germanistenlexikon' (IGL) gewesen, das ja ebenfalls im Deutschen Literaturarchiv entstanden ist. Die Rezension schließt daher mit einem überarbeiteten Entwurf für die 'Biographischen Profile' der im Register genannten Germanisten und den ' wie Curtius, Riegel oder Schuchardt ' mit der Germanistik eng verbundenen Autoren. Die Angaben in Klammern beziehen sich auf die Zeit von 1867'1871.

Bechstein, Reinhold (1833'1894) Prof. Dr., Germanist; Rostock (PD, ao.Prof. in Jena) [IGL 1,108'110].
Bernays, Michael (1834'1897) Prof. Dr., Germanist; München (Privatgelehrter u. Journalist in Bonn und Köln) [IGL 1,153'155].
Carrière, Philipp Moriz (1817'1895) Prof. Dr., Ästhetik, Kunstgeschichte, Philosophie; München, Gießen (Prof. für Kunstgeschichte und Sekr. d. Akad. d. Künste, München) [IGL 1,318f.].
Curtius, Georg (1820'1885) Prof. Dr., Indogermanist, Klass. Philologe; Prag, Kiel, Leipzig (Prof. in Leipzig).
Geiger, Ludwig Moritz Philipp (eigentlich Lazarus Abraham) (1848'1919) Prof. Dr., Germanist; Berlin (Studium in Berlin) [IGL 1,547'549].
Haupt, Moriz (1808'1874) Prof. Dr., Germanist; Leipzig, Römische Literatur, Berlin (Prof. in Berlin) [IGL 2,682'684].
Hildebrand, Rudolf (1824'1894) Prof., Germanist, Herausgeber des Grimmschen Wörterbuchs; Leipzig (ao.Prof. in Leipzig) [IGL 2,748'750].
Hofmann, Konrad (1819'1890) Prof. Dr., Germanist; München (Prof. der Altdeutschen und Altromanischen Sprache u. Literatur, München) [IGL 2,783f.].
Holland, Wilhelm Ludwig (1822'1891) Prof. Dr., Germanist u. Romanist; Tübingen (ao.Prof. für Germanische und Romanische Philologie, Tübingen) [IGL 2,793f.].
Martin, Ernst (1841'1910) Prof. Dr., Germanist; Freiburg/Br., Prag, Straßburg (Prof. für Deutsche Sprache u. Literatur, Freiburg/Br.) [IGL 2,1162'1164].
Maurer, Konrad von (1823'1902) Prof. Dr., Rechtshistoriker, Nordist; München (Prof. in München).
Riegel, E. Hermann (1834'1900) Prof. Dr., Kunsthistoriker, Custos am Museum, ab 1871 Direktor des herzogl. Museums und Prof. an der TH, Schriftsteller, Begründer des 'Allgemeinen Deutschen Sprachvereins' (Braunschweig).
Scherer, Wilhelm (1841'1886) Prof. Dr., Germanist; Wien, Straßburg, Berlin (Prof. Wien) [IGL 3,1582'1585].
Schuchardt, Hugo Ernst Mario (1842'1927) Prof. Dr., Romanist; Halle, Graz) (Privatdozent in Leipzig).
Simrock, Karl Joseph (1802'1876) Prof. Dr., Germanist, Berlin, Bonn (Prof. Bonn) [IGL 3,1740'1743].
Storck, Friedrich Wilhelm Paul (1829'1905) Prof. Dr., Germanist u. Romanist; Münster ( Prof. für Deutsche Philologie, Akademie Münster) [IGL 3,1821f.].
Unger, Friedrich Wilhelm (1810'1876) Prof. Dr., 1840'1845 Privatdozent für Deutsches und Öffentliches Recht, ab 1845 Bibliotheks-Sekretär, 1857'1862 Privatdozent für Kunstgeschichte, ab 1863 ao.Prof. für Kunst und Kunstgeschichte; Göttingen (ao.Prof. und Bibliothekar in Göttingen).