Das Totenbuch der Ägypter

Diese preisgünstige unveränderte Neuausgabe des Totenbuchs von Erik Hornung erreicht nicht die Buchqualität der alten Ausgabe im Artemis-und-Winkler-Verlag. Sei es drum ' die Übersetzung dieses wichtigen religiösen Werks der Ägypter des Neuen Reichs ist eines der Standardwerke der Ägyptologie. Keine der Übersetzungen ins Deutsche oder in irgendeine andere moderne Sprache erreicht die gleiche wissenschaftliche Zuverlässigkeit der Hornungschen Übersetzung, die man sich wünscht. Sie ist somit die erste Wahl jedes Fachmanns und sollte auch die erste Wahl für jeden Interessierten sein, der sich über die ehemals so bezeichnete 'Bibel der Alten Ägypter' informieren möchte.
Das Totenbuch war bei den Ägyptern des Neuen Reichs hoch angesehen, wo es nicht nur auf Papyri geschrieben, sondern auch in Auszügen auf Grabwänden plaziert wurde. Kein anderes Werk der Ägypter hatte eine solche Popularität erfahren und wurde in solch hoher Zahl kopiert. In der Spätzeit kanonisierte man es sogar, als man ihm eine feste Spruchfolge gab. Nach der Ausgabe einer spätzeitlichen Turiner Handschrift durch R. Lepsius aus dem Jahre 1842 hat sich der Name 'Totenbuch' und die noch heute gültige Sprucheinteilung eingebürgert. Die Übersetzung folgt aber den älteren Spruchvarianten aus dem Neuen Reich, wobei im Anhang noch auf mögliche Vorläufer in dem Spruchkorpus der Sargtexte aus dem Mittleren Reich hingewiesen wird. Während die Sargtexte einen Wildwuchs von allen möglichen Sprüchen darstellen, deren Zahl die 1200 überschreitet, war die Zahl der auf Papyri übernommenen oder neu hinzugekommenen Totenbuchsprüche von Anfang an deutlich begrenzt. Später kamen weitere wenige Sprüche hinzu. Einige gelten mit Recht als bedeutende für die ägyptische Religion wichtige Texte: so Spruch 1 (Anfang der Sprüche zum Herausgehen am Tage), Spruch 6 (der Uschebti-Spruch), Spruch 17 (Anfang der Erhebungen/Erhöhungen und Verklärungen) mit erklärenden Glossen, Spruch 30B der Herzskarabäen, der zum festen Bestandteil der meisten Handschriften gehörende Spruch 125 (Totengericht mit negativer Konfession / Sündenbekenntnis), Spruch 151 (Spruch der Mumienmaske) etc.
Trotz des Bonner Totenbuch-Projekts befindet sich die Erforschung des Totenbuchs in einer langfristigen Krise. Zwar werden einzelne Totenbücher hin und wieder veröffentlicht, eine zuverlässige Ausgabe des ägyptischen Textes in synoptischer oder kritischer Form existiert nicht; eine völlig veraltete synoptische Version von Naville gilt als ungenügend. Erik Hornung hatte Mühe, die jeweils für einen der rund 190 Sprüche besten Varianten auf Papyrus für seine Übersetzung heranzuziehen.
Die inhaltliche Erforschung des Totenbuchs ist das Sorgenkind par excellence. Seit man erkannt hat, daß das Totenbuch keine Ähnlichkeit mit der Bibel hat, weil u.a. die 'historischen' und juristischen Passagen fehlen, wirkt das Verdikt der Generation von Adolf Erman bis heute nach, man solle sich besser mit anderen Texten beschäftigen, als mit diesen als esoterisch empfundenen. Offenbar möchte sich kaum ein Ägyptologe sagen lassen, daß er esoterisch spekuliere, wenn er die Texte interpretiert. Was fehlt ist somit das wissenschaftliche Instrumentarium und die Methodik, die den Forscher von diesem Vorwurf freisprechen kann. Hier bieten sich natürlich die Verfahren der Bibelexegese an, die einen guten Ruf genießen. Bislang wurden aber nur Textkritik und ähnliche formale Verfahren auf die Totenbuch-Forschung angewandt, die hinsichtlich eines möglichen Vorwurfs unproblematisch sind.
Selbst die Ägyptologen, die sich vornehmlich mit ägyptischer Religion befassen, vermeiden es weitgehend, sich mit diesen Texten auseinanderzusetzen und sich der inhaltlichen Erforschung zu widmen. Dazu gehört auch Hornung als einer der bedeutendsten Kenner der ägyptischen Religion selbst, der aber wenigstens im Anhang wichtige Hinweise auf das Verständnis der einzelnen Sprüche gibt. Und mit seiner gelungenen Übersetzung eröffnet sich der beste Zugang zu diesem Textkorpus.