Das Tier im Alten Ägypten

Das Buch von Germond will weder ein Nachschlagewerk der Fauna Ägyptens noch eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme sein, sondern will vor allem die fundamentale Bedeutung hervorheben, die dem Tier in den wichtigsten Bereichen der ägyptischen Kultur zukam, seien sie nun profan oder religiös. Mit anderen Worten: es ist ein Bilderbuch. Aber ein Buch, in dessen 280 Bildern man schwelgen kann. Wer die Kunst und das Handwerk Ägyptens mit ihren verschiedensten Leistungen, Facetten und Entwicklungen schätzt und zugleich Tiere liebt, wird sehr viel Schönes als Gegenwert für seinen Kauf erhalten. Germond hat großen Wert auf die Verschiedenheit der Darstellungen gelegt, so daß alle Kunst- und Handwerkformen in abwechslungsreicher Art und Weise dargeboten werden. Ob plastische Darstellungen, Reliefs und Malereien in Bild und Schrift ' alles wird präsentiert und macht das Durchblättern zum optischen Genuß. Bedingt durch die textliche Vorgabe werden Tiergruppen nicht einzeln und nacheinander abgehandelt, damit eine Eintönigkeit vermieden wird; denn manche Tiere werden bei den Ägyptern nur begrenzt auf einige wenige Konventionen hin dargestellt. Wenn man sich speziell für eine Tierart interessiert, wird man aber das gesamte Buch absuchen müssen, denn ein Index fehlt. Doch sind alle Tiergruppen repräsentativ durch ästhetische Photos vertreten, womit ein Querschnitt durch die Tierwelt sinnlich ermöglicht wird, was durch den Text zwar unterstützt aber nicht durch Systematik ersetzt wird. Tatsächlich sind fast alle für die Ägypter wichtigen Tierarten abgebildet, selbst die Insekten; Fabeltiere aber nicht, denn der in Abb. 150 vermeintlich Flügel schwingende Greif ist in Wirklichkeit eine geschlachtete Gans! Das Determinativ der senkrecht verlaufenden Hieroglyphenschrift ist wegen des 90 Grad verdrehten Photos stark verfremdet. Ein Schnitzer oder eher ein Scherz?
Das Wort tritt bei diesem Buch deutlich hinter dem Bild zurück, obwohl der Text sowohl unterhaltsam wie lehrreich verfaßt ist. In der ausführlichen Einleitung werden nacheinander die Schöpfung der Lebewesen nach den ägyptischen Quellen, das magisch-religiöse Denken sowie der Ursprung und die Entwicklung der pharaonischen Fauna als Themen abgehandelt, bevor im Hauptteil die grundlegende Zweiteilung nach profaner und religiöser Tierwelt erfolgt. In der Welt des Profanen erscheint das Tier als Opfer, also Nahrungslieferant, als Freund und Feind des Menschen; in der Welt des Heiligen werden die Tiergötter des ägyptischen Pantheons und die heiligen Tiere der Götter abgehandelt, wobei im Anhang die Beziehungen von Gott und Tier in tabellarischer Form sinnvoll als Ergänzung erscheinen. Ein kleinerer Abschnitt behandelt obendrein das Tier im Reich der Toten, der Magie und des Phantastischen und anstelle eines Schlußwortes zeigt Germond humorvolle Tierbilder auf Ostraca. Der Text bietet eine Fülle von Informationen, die sonst schwer zu beschaffen sind und somit eine Stärke des Buches darstellen. Allerdings verfolgt der Autor die französische Vorliebe in allem und in jeder Darstellung Symbolisches zu vermuten und das Symbolische dem Realen überzuordnen, als ob ein Ägypter, der das wunderbare Stimmungsbild des Menena (Abb. 16) vor sich hat, wo dieser mit seiner Familie auf Vogeljagd und Fischfang einem Freizeitvergnügen nachgeht, sogleich an rituelle Gesten der Feindbekämpfung denkt, die dem Menena das Weiterleben im Jenseits ermöglichen. Bedenklicher als dieses Hineingeheimnissen ist die antiwissenschaftliche Bemerkung auf Seite 15: Um die Einstellung der Ägypter ansatzweise zu verstehen, solle man die heutigen Bezugssysteme fallen lassen, die meist von einer biblischen Sichtweise oder wissenschaftlichen Erklärungen geprägt sind. Was, wenn nicht die Wissenschaft, ist der Filter aller Ergebnisse und Auffassungen, die mit dem Alten Ägypten zu tun haben? Etwa die Meinung oder das Gefühl eines einzelnen, der glaubt, sich von dem rationalen Denken frei machen zu können? Hier wird wieder ein ägyptisches Denken postuliert, daß fern vom rationalen Denken sich seine Welt irrational ' und für uns mit exotischem Flair ' erklärt. Als ob die Ägypter einem rationalen Denken nicht fähig seien. Haben die Ägypter etwa nicht, rational, konsequent und aus Mangel an naturwissenschaftlichem Wissen auch phantasievoll ihre Welt erklärt? Der Mangel an naturwissenschaftlichen Wissen darf man nicht mit Mangel an rationellem Denken gleichsetzen. Man darf nie vergessen, wann die Ägypter ihre Weltkultur schufen und wann die Naturwissenschaft im Abendland zur Blüte kam.
Genug davon, was den Rezensenten erbost, ist nicht der Rede wert ' just im Gegenteil, er hat das Buch ins Herz geschlossen. Es ähnelt einem gut dokumentierten musealen Ausstellungskatalog. Es ist sehr empfehlenswert und wer seinem Bücherschrank ein Schmuckstück zuführen möchte oder sich an schönen und ausdrucksstarken Tierbildern erfreuen kann, tätigt keinen Fehlkauf.