24 Stunden im Leben der katholischen Kirche

Jener hier zur Besprechung anstehende, opulente Bildband führt vom Titel her vielleicht allzu rasch auf die falsche Fährte. Man mag an eine Art Bildtagebuch oder ein 'Reality'-Bericht erinnert sein, doch 24 Stunden im Leben der katholischen Kirche verfolgt eindrucksvoll ganz andere Ziele.

Jede Stunde dokumentieren Bilder aus allen Teilen der Welt ' das weltumspannende jener Religion wird bestens in Szene gesetzt ' die Manifestation des Glaubens in der Tätigkeit der Gläubigen. Es sind Dienste der Pflege, der Labung, der Erbauung, der Mission. Deren kirchliches Engagement von Laien und Klerus haben international renommierte Fotografen festgehalten, aber es sind keine beliebigen Bilder geworden: Es ist der 12. April 2005, zehn Tage nach dem Tode Johannes Paul II., ausgesucht gewesen, an dem alle Aufnahmen entstanden sind ' somit keine 24 Stunden jünger oder älter als die jeweils andere.

Die Fotografien offenbaren den täglichen Umgang Gläubiger mit ihrer Religion. Das Bild überwindet dabei alle Barrieren, die Sprache oder Kultur ziehen, und führt den Betrachter nahe an die Spiritualität der Menschen. Die Idee Hans-Günther Kaufmanns zu diesem Projekt paßt sich hervorragend ein in die seit Johannes Paul II. immer stärker feststellbare Mediennähe der Katholischen Kirche zu Print und Fernsehen. Die Krankheit des letzten Papstes, die Wiederwahl des neuen Papstes und die geschickte Taktik des 'Denkerpapstes' Benedikt XVI., seine Glaubensthesen mit verschiedenen Akzenten, vom strengen Kirchendogma bis hin zu neuzeitlichem Gedankengut, via Satellit in die Weltöffentlichkeit zu bringen, haben der Institution katholische Kirche eine kaum für möglich gehaltene Aufmerksamkeit zumindest in Europa geschenkt. Verborgen geblieben sind die Liturgie, die Sakramente, kurz: der Kern der Religion im Umgang mit den Katholiken. Diese Lücke schließt dieses Buch auf eine ästhetisch ansprechende und zugleich Religion faßbare Art und Weise.

Die Kirche lebt ' so der Heilige Vater Benedikt XVI. in der Predigt zu seiner Amtseinführung am 24. April 2005, die dem Bildband als Appendix beigegeben ist. Diesen einen Aspekt erfüllt das Buch durch eine großartige Performance in Idee und Ausführung. Von jetzt an wirst du Menschen fischen (Lk 5,1-11) ' diesen Auftrag an Simon (später Petrus, dessen Nachfolger im Amt ja der Heilige Vater ist) nimmt sich das Buch als zweites an. Das Vorbild des gelebten Glaubens führt den Betrachter tief in die Hingabe der Menschen an Gott heran; wer nicht verstanden hat, aus welchen Wurzeln sich der christliche Dienst am Nächsten speist, die abgedruckten Bilder machen es sichtbar. Ihrer Ästhetik ist es schwer sich zu entziehen. Dies ist vielleicht auch das gleichzeitig größte Manko des Buches: Die Bild gewordene Schönheit von Barmherzigkeit überblendet die vorhandenen Kritikpunkte an der katholischen Kirche, sei es in ihrem Verhältnis zur Rolle der Frau und ihrer Emanzipation, die Frage der Schwangerschaftsverhütung, die Zukunft gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder die Ehelosigkeit katholischer Priester, um nur einige Beispiel kurz anzureißen. Dies alles sollte der Betrachter nicht vergessen (und das der Bildband mehr oder minder mit dem Segen der katholischen Kirche entstanden ist), wenn er sich auf dieses Buch einläßt.