Die sich auf vier Bände erstreckende Dokumentation zu Hölderlin und der deutsche Idealismus umfasst die gesamte produktive Biographie des genialen Dichters aus Lauffen. Band 1 enthält die Jahre 'Im Tübinger Stift' von 1788-1793, Band 2 versammelt Texte aus den Jahren 1794-1795 zu den 'Jenaer Gesprächen', Band 3 liefert Materialien zum 'Frankfurter und Homburger Freundeskreis' der Jahre 1796-1800 und Band 4 dokumentiert die Stationen 'Nürtingen bis zum Tübinger Turm' aus der Zeit von 1800-1843. Die auf eine Anregung des Verlegers Günther Holzboog zurückgehende Edition versammelt neben Prosastücken und Versen Hölderlins auch Zitate seiner Briefe sowie eine Reihe zeitgenössischer Philosophie und Literatur zu jeweils relevanten Themen, die mit Quellenangaben und ' wo nötig ' mit Erläuterungen versehen sind. Zu den prominentesten Autoren zählen Rousseau, Herder und Kant; Fichte, Schelling und Hegel. Die ganze, zum Teil heute weniger bekannte, Bandbreite jener Intellektuellen der Goethezeit ist vertreten, um die Kontextualität einer Werkgenese und eines freundschaftlichen Beziehungsgeflechts zu beschreiben.
Die eigentliche Leistung der Dokumentation besteht in der darstellenden Analyse einer so vielschichtigen geistigen Biographie. Man liefert hier das Gegenstück zu einer Rezeptionsgeschichte ab, eine Art Konstitutionsgeschichte, wenn man Hölderlins geistige Entwicklung auf diese Art rückwärts liest und einzelne Elemente und Quellen seines Werks freilegt. Erinnert sei hier nur an den geistlichen Hintergrund des Tübinger Stifts, die Französische Revolution, den Klassizismus, die Kopernikanische Wende Kants in der Philosophie, Spinoza und den Pantheismus etc. Entscheidende Impulse liefert die Sammlung von Jamme und Völkel, wo sie Einflußnahmen aufdeckt und die strenge Ressorttrennung von Literatur und Philosophie aufhebt. Besonders anhand ontologischer Schemata läßt sich Nähe und Differenz z.B. zwischen Hölderlin und Hegel neu definieren: 'Anhand eines eingehenden Vergleiches zwischen Hegels Konzeption des Geistes des Christentums und Hölderlins Empedokles-Projekt lassen sich auffällige Parallelitäten zwischen den jeweils ersten Fassungen herausarbeiten. Mittlerweile kann es als gesichert gelten, daß neben der von D. Henrich entdeckten Grunderfahrung Hölderlins, die zu Beginn des Jahres 1795 als ästhetische ‚Vereinigungsphilosophie' Gestalt gewinnt [...], ' daß neben dieser ersten ‚ursprünglichen Einsicht' eine zweite, Hölderlin und Hegel jetzt gemeinsame Grunderfahrung auszumachen ist, die den Weg freigibt sowohl zu Hegels Theorie der konkreten Allgemeinheit als dem Zentrum seiner Logik wie auch zu Hölderlins Versuch, in seinen späten Hymnen die Mythe ‚beweisbarer' darzustellen: die Erfahrung nämlich vom notwendigen Herausgehen des Einen aus sich, philosophisch gesprochen: die Erfahrung von der Einheit der Einheit und Trennung. Poetik, Theologie und Philosophie fließen ineinander.' (Bd. 1, S. 7) Gleichermaßen möchten die Herausgeber eine 'zusammenschauende Übersicht über die bisher erzielten Ergebnisse der Idealismus-Forschung' (Bd. 1, S. 10) gewinnen, und 'dies in exemplarischem Blick auf Hölderlin' (Ebd.).
Im dritten Band wird das Ineinander theoretischer und praktischer Philosophie im Denken Hölderlins sehr schön deutlich. Durch die Rezeption Herders und Spinozas gewinnt Hölderlin einen moralisch wie ästhetisch aufgeladenen Naturbegriff: 'In Diotima liebt Hyperion die Natur wie die Schönheit. Daß die Schönheit ' wie bei Schiller ' nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein politisches Ideal darstellt, verdeutlicht die große Rede des Hyperion über das versunkene Athen: Schönheit meint den Menschen im Bewußtsein seiner Göttlichkeit, und dieses Bewußtsein ist die Verbindung religiöser mit politischer Freiheit und Gleichheit.' (Bd. 3, S. 4) Diesen Gedanken wird später sogar noch Heinrich Heine ' etwas modifiziert ' reflektieren, wo er in seinen philosophiehistorischen Schriften den 'revolutionären' Einfluß Spinozas unterstreicht. Wenn im Menschen ein göttlicher Funken wohnt, dann kann es nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn der Mensch so elend vegetiert und so mühsam um sein tägliches Auskommen kämpfen muß.
Alles in allem sind die vorliegenden Bände eine gute Gelegenheit, in der dichten Geisteswelt des deutschen Idealismus mit all seinen Nuancen und Facetten zu versinken. Zwar steht jedem Band eine ca. zwanzig Seiten lange Einleitung voran, dennoch besteht die Gefahr, sich in der oft übergangslosen Materialfülle zu verlieren. Auch wenn verschiedene Texte zum Querlesen einladen, sind hier doch eindeutig akademisches Publikum und Spezialisten angesprochen. Besonders der philosophischen Zunft, weniger den Germanisten, sei das Werk empfohlen, da sie hier wesentliche Hinweise zum Verständnis Hegelscher Metaphorik erhalten können. Erwähnt sei noch, daß das Werk selbstverständlich neben dem Quellenregister über ein stattliches Literaturverzeichnis von gut hundert Seiten verfügt.