Nietzsches persönliche Bibliothek

Diese von italienischen Nietzsche-Forschern vorgelegte Gesamtübersicht über die von Nietzsche geliehenen, gelesenen und gekauften Werke stellt eine äußerst wertvolle Ergänzung zur historisch-kritischen Nietzsche-Edition dar, deren anspruchsvolle Kriterien auch in dieser Publikation konsequent durchgehalten werden. Die Beschäftigung mit Nietzsches Lektüre oder seine Beeinflussung durch gelesene Schriften wurde lange Zeit in der Forschung unterschätzt, wie an den Lesarten Heideggers und Jaspers zu erkennen ist. Umso wichtiger ist es, daß die Rekonstruktion einer 'ideellen Bibliothek' (S. 11) Nietzsches, die 'das 'philiströse Konzept der 'Originalität'' zerstört' (S. 11), eine Grundlage für weiterführende Forschungen zum Kontext Nietzscheschen Denkens schafft. Gleichermaßen weisen jedoch die Herausgeber umsichtig auf den Umstand hin, daß nicht jedes von Nietzsche geliehene oder gelesene Buch mit seinem Inhalt nachweisbar in den Gehalt seines Denkens eingegangen sein muß. Die Menge der gelesenen Bücher übersteigt die der in Nietzsches Bibliothek verzeichneten Werke und ist selbstverständlich nicht vollständig deckungsgleich, das heißt, nicht alle seiner Bücher sind nachweisbar auch gelesen worden. (Vgl. S. 68)
Nietzsches Bibliothek steht in der guten Tradition italienischer Nietzsche-Forschung. So setzen auch die Herausgeber des Bandes dem Dioskuren-Paar der historisch-kritischen Nietzsche-Edition, Giorgi Colli und Mazzino Montinari, berechtigterweise ein Denkmal: 'Das Unternehmen der Gesamtausgabe wurde in den sechziger Jahren möglich durch eine Nietzsche-Renaissance vor allem in Frankreich und eine damit einhergehende 'Entnazifizierung' seiner Philosophie. Das unbestreitbare wissenschaftliche Ergebnis dieser Jahre ' die Restitution der Text Nietzsches ' ist jedoch zweifellos das alleinige Verdienst der beiden italienischen Editoren Giorgi Colli und Mazzino Montinari und ihres ganz besonderen, höchst differenzierten Interesses an der Philosophie Nietzsches.' (S. 16) Nicht weniger wird der Grundstein zum vorliegenden Band, die Arbeiten Montinaris, durch ausführliche Dokumentation seiner Tätigkeit im Nietzsche-Archiv gewürdigt. Dies alles geschieht im einleitenden Teil, der sich in ein Vorwort und die Abschnitte 'Geschichte der Bibliothek Nietzsches und ihrer Verzeichnisse' und 'Kriterien zur Erschließung der Bibliothek Nietzsches' aufteilt. Interessant scheint dabei, wie die Nietzsche-Philologie sich selbst zuweilen historisch wird, wenn sie der bereits geleisteten Fortschritte gedenkt.
Hauptteil des Bandes ist selbstverständlich ein Verzeichnis der von Nietzsche herangezogenen Schriften (vgl. S. 95-736), das zunächst jeweils Autor und Titel nennt, dann aber auch preisgibt, wodurch der Nachweis seiner Zugehörigkeit zur 'ideellen Bibliothek' Nietzsches erbracht wird. Dies können neben dem bekannten Oehlerschen Verzeichnis, dem von Rudolf Steiner oder der Aufstellung von Elisabeth Nietzsche-Förster auch Rechnungen oder Ausleihvermerke sein. In der Rubrik 'Anmerkungen' haben die Herausgeber wichtige Informationen zum jeweils angezeigten Buch untergebracht, so zum Beispiel, ob ein Buch vollständig aufgeschnitten ist oder nicht, was für den Beleg vollständiger Lektüre eines Werkes von entscheidender Bedeutung sein kann. Wie Oehler geben die Autoren aber auch die überaus wichtigen Hinweise auf Lesespuren Nietzsches an den Leser weiter. Als Quellen der persönlichen Bibliothek führt Maria Cristina Fornari folgende Bestände auf: 'a) Die von Buchhändlern und Buchbindern auf den Namen Friedrich Nietzsche ausgestellten Rechnungen und Quittungen die im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar aufbewahrt werden.
b) Früher gedruckte und ungedruckte Verzeichnisse der Bibliothek Nietzsches.
c) Die Abteilung C der Herzogin Anna-Amalia Bibliothek in Weimar, die die Bücherbestände des ehemaligen Nietzsche-Archivs umfaßt, insbesondere (aber nicht nur) die Signaturen C 1- C 775, die bisher als die persönliche Bibliothek Nietzsches betrachtet wurden.
d) Alle Bände und Drucksachen, die im Bestand 71 des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar aufbewahrt werden.' (S. 79)
Insgesamt ist das Buch zunächst lediglich philologisch relevant. Aber genau diese 'intellektuelle Redlichkeit', die sich im exakten philologischen Umgang mit den Schriften Nietzsches kundtut, hat Nietzsche seinem Denken abverlangt und muß Kriterium jeder Beschäftigung mit Nietzsche sein. Alle ernsthaften Nietzsche-Exegeten sollten auf das Verzeichnis zurückgreifen können.