Kierkegaards Tagebücher

Mit dem vorliegenden Band, dem zweiten der Folge, wird die begonnene Edition fortgeführt (vgl. WLA 2/2003, 42. Jg., S. 6), sodaß für Voraussetzung, Intention und Durchführung des Unternehmens das anläßlich des ersten Bandes Ausgeführte nicht wiederholt werden muß. Die Hefte bzw. Zettel Kierkegaards umfassen nunmehr die Jahre von 1844 bis 1849, die Jahre des Übergangs aus einer frühen Phase seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu wachsender, bewußter und gewollter Einsamkeit und einer Isoliertheit, die geradezu programmatische Züge trägt, dient sie doch der Unabhängigkeit und der konzentrierten Tätigkeit (vgl. S. 53). Bis zur Pedanterie ist Kierkegaard genau, er weiß, warum er es sein muß (vgl. S. 85), wobei er aber auch zuweilen befürchtet, ein Schriftsteller nur für Schriftsteller zu werden. Doch kann er nicht anders als sein Denken noch, wie er sagt, in der zweiten Potenz der Dialektik verdoppeln, denn: 'Eines ist es, in Büchern scharfsinnig zu sein, etwas anderes ist es, das Gedachte in der Existenz dialektisch zu verdoppeln.' (S. 97) Nachdenklich stimmt daneben das für ihn, aber auch für andere bedeutende Gestalten der Epoche gültige Geständnis: 'Seit meiner frühesten Kindheit hat ein Pfeil des Kummers in meinem Herzen gesessen. Solange er dort sitzt, bin ich ironisch ' wird er herausgezogen, so sterbe ich.' (S. 148)
Kierkegaard weiß sich als radikal Protestierender in einer Welt, die nicht mehr zu hören und zu denken versteht. So wird damals schon alles zum Geschwätz und zum 'event': 'Schließlich wird die ganze Weltgeschichte Geschwätz. Man schafft die Handlung vollkommen ab; soweit etwas geschieht, ist alles Begebenheit.' (S. 220) Damit verschwindet die persönliche Beteiligung, es erlischt die Handlungsbereitschaft, die Energie, der moralische Mut. Von der Bedeutung des Denkers und Schriftstellers wird man gewiß noch immer sprechen, doch wird man ihn, was nötig ist, auch lesen?