Keltische Viereckschanzen
Einem Rätsel auf der Spur

'Viereckschanzen' sind rechteckige Wallanlagen des zweiten und frühen ersten vorchristlichen Jahrhunderts mit einem primären Verbreitungsgebiet in Süddeutschland. Sie gehören nach den Fundstücken in den keltischen Kulturkreis der älteren Spätlatène, parallel der Blütezeit der keltischen 'oppida' - und haben die Archäologie vor viele Fragen gestellt. Seit den 1930er Jahren wurden sie immer wieder als spätkeltische Heiligtümer gedeutet. Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte haben diese Interpretation aber zweifelhaft werden lassen, und der hier anzuzeigende Sammelband stellt wegweisende neueste Entwicklungen und Überlegungen der Viereckschanzenforschung in einer auch für Nichtarchäologen gut lesbaren Form zusammenfassend vor.
Der Band enthält zunächst zwölf interpretative Aufsätze zu Einzelaspekten wie z.B. der Forschungsgeschichte, der Lage der Viereckschanzen in der Landschaft und im Zusammenhang mit anderen Siedlungsformen, ihre Datierung, die Fundlage und Bauten, ihre weitere Verwendung und ihre typologische (Un-)Vergleichbarkeit mit keltischen und gallo-römischen Kultbauten. Darauf folgt ein Katalog mit der genauen Beschreibung von 24 Schanzen von Baden-Württemberg bis Böhmen und einer Auflistung der 277 momentan bekannten Schanzen. Die Texte werden durch 82 Abbildungen und Pläne sowie 16 Farbtafeln von sehr guter Qualität und hohem Informationswert ergänzt.
Der Ertrag der Aufsätze ist, bei sorgfältiger Abwägung der methodischen Probleme und verbleibenden Unsicherheiten, eine einleuchtende Neuinterpretation der Viereckschanzen als Mittelpunkte eines ländlichen Wirtschafts- und Siedelgefüges. Sie hätten somit überwiegend profane Funktionen, als befestigte Herrenhöfe, Versammlungsorte, Stapelplätze oder auch zu Schutzzwecken. Auf letzteres lassen die charakteristischen Umwallungen schließen, die manchmal Zaunumfriedungen von Vorgängeranlagen ersetzen. Viele Schanzen scheinen zudem durch Schadenfeuer zerstört worden zu sein. Ein Zusammenhang mit den Unruhen durch vordringende Germanen im ersten vorchristlichen Jahrhundert wird hierfür als eine Erklärungsmöglichkeit vorgeschlagen. Wenn es auch in einigen Schanzen, wie Fellbach-Schmiden mit seinen eindrucksvollen Resten eines Kultbildes, sicher ein Heiligtum gab, so ist daraus nicht der kultische Charakter der Gesamtanlage abzuleiten. Die süddeutschen Viereckschanzen erscheinen somit als unterste, lokal-politische und -religiöse Herrschaftsmittelpunkte von Hofherren, vielleicht mit den von Caesar genannten 'vici' und 'aedificia privata' gleichzusetzen, und erweitern damit signifikant unser durch Großanlagen wie Stadtsiedlungen und befestigte Höhensiedlungen geprägtes Bild der spätkeltischen Siedlungstopographie. Eine zentrale neue Forschungsperspektive zur funktionalen und historischen Interpretation der Viereckschanzen wird hier prägnant und methodisch überzeugend vorgestellt; der Anspruch des Untertitels, dem Rätsel der Viereckschanzen genauer auf die Spur kommen zu können, ist eingelöst.