fromm – fremd – barbarisch
Die Religion der Kelten

Das Interesse an den Kelten ist in den letzten Jahren nicht zuletzt als Sicht auf einen idealisierten Gegenpol zur rationalen Moderne auffallend hoch, und so ist sehr zu begrüßen, daß neben den halb- und unwissenschaftlichen Publikationen zum Thema auch die Zahl der zuverlässigen wissenschaftlichen Darstellungen, die sich nicht nur an Spezialisten wenden, deutlich zunimmt. Der vorliegende Band ist hierfür ein gelungenes Beispiel. Er befaßt sich mit schriftlichen und materiellen Quellen zur Geschichte, Kultur und Religiosität der gallischen Kelten, der Rolle der Druiden und dem Barbarenstereotyp, das die Darstellung der Kelten in den mediterranen Kulturen prägte, mit denen sie seit circa 400 v.Chr. in Berührung kamen. Auf wissenschaftliche Aufsätze zu diesen Themen folgt ein ausführlicher Katalog mit Interpretation und Beschreibung auch bisher unpublizierter Fundstücke. Qualität und Informationsgehalt der insgesamt 179 Farb- und Schwarzweißabbildungen sind sehr hoch.
Die aus klassischen Quellen bekannten Druiden der Gallier waren wohl Priester, Politiker und militärische Führer; nicht erwähnt ist die Etymologie des Wortes, *dru-¨id-, entweder 'Eichenweiser' oder 'Hochweiser', wobei es leider fraglich bleiben muß, ob diese Etymologie etwas zur Erklärung der tatsächlichen Funktionen der Druiden betragen kann, außer vielleicht ihrer besonderen Beziehung zur Eiche. Besonders spannend erscheinen mir die Diskussionen der Genese der antiken Sicht auf die Kelten als Barbaren schlechthin und ihrer Ausprägungen in der Kunst. Hintergrund ist die Gefährdung der religiösen und moralischen Ordnung der griechischen, etruskischen und römischen Welt durch die keltischen Angriffe auf ihre gesellschaftlichen Zentren, z.B. die Belagerung des römischen Kapitols 387/6 v.Chr. und die Bedrohung des Heiligtums von Delphi 279/8 v.Chr. So gelingen überzeugende Neuinterpretationen so bekannter Kunstwerke wie 'Gallier und sein Weib' und 'Sterbender Gallier' aus der Villa Ludovisi als nichtheroisch, da die Dargestellten als Kämpfer herabgesetzt werden und die eigene kulturelle Überlegenheit durch einen voyeuristischen Blick auf ihre verletzten Körper formuliert wird, wobei das Fehlen der siegreichen Gegner dem Betrachter suggeriert, er selbst könne den Geschlagenen als Sieger entgegentreten. Die abschließende Gruppe von Aufsätzen gibt sehr informative Zusammenfassungen der neuesten Forschungen zur Geschichte der Gallier in der Schweiz, der materiellen Hinterlassenschaften ihrer religiösen Praktiken sowie der Ausgrabungen des oppidums in Bibracte auf dem Mount Beuvray.
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht sei eine Anmerkung erlaubt: Die Bemerkung (S. 147), ein beliebter Erklärungsversuch für gallische Wörter bestehe darin, 'in vorrömischen Sprachen wie dem Irischen nach Etymologien zu suchen - ohne kritische Berücksichtigung freilich, inwieweit es überhaupt berechtigt ist, in Irland von Kelten zu sprechen, was beim heutigen Forschungsstand kaum mehr zu vertreten ist', scheint doch jeweils sehr berechtigte linguistische und archäologische Perspektiven zu vermischen, denn die Zugehörigkeit des Gallischen und des Irischen zu einer größeren Sprachfamilie - egal, ob man diese nun als 'keltisch' oder anders bezeichnen mag - ist immer noch unbestritten.
Es ist den Herausgebern erfolgreich gelungen, Analysen antikpropagandistischer und modern-wissenschaftlicher Sichtweisen auf die Gallier, die von der Antike bis heute die Imagination vielfältig anregten, zu einer spannenden und instruktiven Darstellung ihrer Realität, soweit diese denn überhaupt erkennbar werden kann, zusammenzufügen.