Die 101 wichtigsten Fragen: Holocaust

Der Blick ins Inhaltsverzeichnis von „Die 101 wichtigsten Fragen: Holocaust“ zeigt deutlich die Vorgehensweise des Büchleins, denn dort sind die titelgebenden 101 Fragen aufgelistet, die von grundsätzlich („Was bedeutet Holocaust?“) bis hin zu spezifisch reichen („Ging Janusz Korczak freiwillig in den Tod?“). Mit ihnen richtet sich Markus Roth primär nicht an andere Forschende, sondern an Laien, denen so ein „Einstieg in eine große Bandbreite von Aspekten der Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des Holocaust“ ermöglicht werden soll (S. 12). Das schafft das Buch in dieser Kürze in bemerkenswerter Weise.

Der langjährige Geschäftsführer der Arbeitsstelle Holocaustliteratur (Gießen) und jetzige wissenschaftliche Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut (Frankfurt a.M.) beginnt chronologisch mit der Vorgeschichte, geht auf die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden selbst ein und thematisiert Akteure, Institutionen und Ereignisse, bevor er mit der Nachgeschichte des Holocaust endet. Der Aufbau ermöglicht also eine schnelle Orientierung, die einzelnen Fragen sind auf ein bis zwei Seiten beantwortet, die Lektüre entsprechend flott.

Manche Antworten legen ihr Augenmerk auf die Darstellung des Forschungsstandes, stellen knapp wegweisende Studien vor und vermitteln die Standortbezogenheit historischer Forschung, ohne den Laienlesenden in den Untiefen zu verlieren. Weitere Fragen vollziehen historische Entwicklungen nach („Warum sind nicht alle Juden aus Deutschland geflohen?“). Und wieder andere dienen als Anlass, Geschichten zu erzählen, die symbolisch für größere Tendenzen des Holocaust stehen; dies ist insbesondere beim Thema Widerstand der Fall („Wie rettete Tuvia Bielski mit einer Befehlsverweigerung hunderten Menschen das Leben?“).

So zeichnet er über die Fragen hinweg den mäandernden, nicht von Beginn an intentional durchgeführten Kurs des NS-Regimes von den Ursprüngen des Antisemitismus Jahrzehnte vor dem NS-Regime über die Anfänge der Verfolgung bis hin zum industriell durchgeführten Massenmord nach. Immer wieder thematisiert er auch antisemitische Legenden, die zu entkräften besonders mit Blick auf die anvisierte Leserschaft wichtig ist (beispielsweise bei der Frage „Wer nicht morden wollte, wurde selbst getötet?“).

Leider legt er nicht offen, wie er auf die 101 „wichtigsten“ Fragen kam. Einige ähneln in ihrer Formulierung Fragen, wie sie auch ein Laie stellen könnte („Wussten die Deutschen wirklich nichts vom Holocaust?“). Anderen sieht man an, dass sie deshalb ausgewählt wurden, um weitere Aspekte besprechen zu können, die in einer Gesamtdarstellung vorkommen sollten („Inwiefern entschied oft eine bloße Handbewegung über Leben oder Sterben?“). Hieran zeigt sich die indirekte Zielsetzung des Buches, zwei Lesarten zu ermöglichen: Zum einen können die Fragen hintereinander als Einführung in die Geschichte des Holocaust gelesen werden, zum anderen können aber auch einzelne Fragen herausgegriffen werden. Um ersteres zu ermöglichen, sind auch die ‚konstruierteren‘ Fragen notwendig, die dann aber nicht mehr nur der direkten Beantwortung, sondern als Erzählanlass dienen. Roth baut aber auch ein paar kurze Dopplungen ein, zum Beispiel zum Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) (S. 49 und S. 61) oder den Trawnikis (S. 62 und S. 89), die darauf hinweisen, dass die Fragen auch selektiv gelesen werden können sollten. Für eine solche Lesart wären Querverweise und ein laiengerechter Literaturhinweis zum Weiterlesen am Ende jeder Frage hilfreich gewesen. Solche Hinweise stehen jedoch nur im knappen Literaturverzeichnis in Form historischer Zeugnisse und Überblicksdarstellungen.

Solche Kritikpunkte sind bei der Breite der anvisierten Leserschaft und damit möglicher Lesarten kaum zu umgehen: 101 Fragen auszumachen, die sowohl Laien interessieren als auch die wichtigsten Aspekte des Holocaust abdecken, und diese komplexen und kontrovers diskutierten Themen innerhalb von ein bis zwei Seiten laienverständlich zu beantworten, ist überaus herausfordernd. Die zugängliche Sprache, der Umfang von 144 Seiten und der Preis von 12 Euro werden gewiss zur Verbreitung und Nutzung dieses Büchleins beitragen, das so auch gut in Schulen Verwendung finden könnte. Gerade Interessierte ohne einen wissenschaftlichen Hintergrund finden hier einen informierten Einstieg in das Themengebiet. Und auch für Forschende kann das Buch spannend sein, wenn man sich der Denkübung stellt, wie man selbst solche Fragen, beispielsweise, ob sich der Holocaust wiederholen könne, auf so knappem Raum beantwortet hätte.