Irrtümer & Fälschungen der Archäologie
Begleitband zur Sonderausstellung 23. März – 9. September 2018, LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum, Herne

Fakten, Missverständnisse und Fake News

Anzuzeigender Band ist das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung in Herne und Hildesheim. Er besteht aus Essays verschiedener Autoren zu den Themenkomplexen „Irrtümer“ und „Fälschungen“ und dem Katalogteil, ebenfalls unterteilt in die Bereiche „Irrtümer“, „Fälschungen“ sowie „Wahr oder falsch?“. Eine Besonderheit und ein echter Gewinn für den Band ist die Hinzunahme eines Beitrags des Autors David Macauley, dessen Buch „Motel of the Mysteries“ anlässlich der Ausstellung vollständig neu ins Deutsche übersetzt wurde. Sein Essay „Das Motel der Mysterien – Eine Ausgrabung alternativer Fakten“ (S. 16-33) bildet zusammen mit der Einleitung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ der beiden Herausgeber Josef Mühlenbrock und Tobias Esch (S. 12-15) eine gelungene und originelle Einführung in die Thematik. Macaulay thematisiert, wie wohl Archäologen zweitausend Jahre nach dem Untergang der USA im Jahre 2018 die Hinterlassenschaften der amerikanischen Kultur interpretieren würden, hätten sie genau wie Archäologen im Regelfall keine schriftlichen Überlieferungen zur Hilfe. Ausführlich wird die Ausgrabung einer „ungestörten Grabstätte der Yankees“ beschrieben, die von einem Amateurwissenschaftler durchgeführt wird – viele Bilder und Beschreibungen erinnern an die Entdeckung des Grabs des Tutanchamun durch Howard Carter, und sollen es auch. Witzig ist, dass sich dem modernen Leser sofort erschließt, dass es sich bei dem „Grab“ um einen Leichenfund in einem Motel handelt – so wird eine Badewanne zum Sarkophag, eine Toilette zur „heiligen Urne“ und schlichtes WC-Zubehör zur rituellen Gegenständen. Dies alles „überführt“ die modernen Archäologen – sind sie doch allzu oft versucht, unbekannte und nicht deutbare Befunde und Funde als „religiös“ oder „rituell“ anzusehen. Dem Katalogteil des Bandes vorangestellt ist der Beitrag „Fundstücke aus dem Motel der Mysterien“ (S. 166-173), der im Stil eines echten Katalogs antiker Fundstücke die Gegenstände abbildet und beschreibt, die angeblich bei der Ausgrabung der „Yankee-Grabstätte“ gefunden wurden. Man kann hier zum Beispiel eine „Statuette der Göttin WATT“ (eine Glühbirne) oder ein „Scheiben-Orakel“ (ein Telefon mit Wählscheibe) bewundern.

Zum Thema „Irrtümer“ kann man zum Beispiel über die Fehlinterpretation von im 17. Jahrhundert im Harz gefundenen Mammutknochen als „Quedlinburger Einhorn“ lesen (Constantin Kappe, „Ein Horngespinst?! Auf den Spuren eines Fabelwesens“, S. 34-41). Oder über die zunächst falschen Annahmen, bei merowingerzeitlichen Funden aus dem Childerichgrab und des Fürstengrabs von Xanten handele es sich um „Schreibgeräte und Schreibtafelbeschläge“ und eine „Krone“ – tatsächlich hatte man im ersteren Fall Fibeln, also Gewandnadeln und Schwertscheidenbeschläge sowie statt dem Attribut eines Herrschers bloß Zierbeschläge eines Holzeimers vor Augen (Ulrich Lehmann, „Schreibgerät und Krone? Berühmte Fehldeutungen merowingerzeitlicher Objekte aus dem Childerichgrab und einer rheinischen ´Fürstenbestattung`“, S. 78-85). Geradezu als klassische Beispiele für Fehlinterpretationen sind hier die Annahme Heinrich Schliemanns, 1873 den „Schatz des Priamos“ im antiken Troja gefunden zu haben (Tobias Esch, „Auf die Angaben der Ilias vertrauend. Heinrich Schliemann und das homerische Troja“, S. 50-59), und den leider misslungenen Versuch des Universalgelehrten Athanasius Kircher, im 17. Jahrhundert bereits die altägyptischen Hieroglyphen zu entziffern (Regine Schulz, „Auch Genies können irren. Athanasius Kircher und sein Versuch die altägyptischen Hieroglyphen zu entschlüsseln“, S. 60-69).

Neben den versehentlichen Irrtümern und misslungenen Interpretationen, die zumeist der Zeit mit dem damaligen Stand der Wissenschaft und der Prägung der Wissenschaftler, aus der sie sich oft nicht lösen konnten, geschuldet ist, faszinieren vor allem die absichtlichen Falschinterpretationen, also die Fälschungen. Hier ist besonders der Mut des Hildesheimer Museums hervorzuheben, das zugibt, eine Fälschungen in seinen Sammlungen sein Eigen zu nennen und diese auch benennt: zum Beispiel die optisch sehr ansprechende Holzstatuette des Gottes Amun, die 1960 für viel Geld angekauft wurde und sich doch als zeitgenössische Fälschung herausstellte. Weitere spektakuläre Fälschungen, die im Buch vorgestellt werden, sind beispielsweise die Terrakottafiguren von Rheinzabern, die ein Maurer im 19. Jahrhundert anhand von tatsächlich von ihm gemachten Originalfunden in Serie anfertigte und damit das Museum Speyer betrog (Manuel Thomas, „Johann Michael Kaufmann aus Rheinzabern. Maurer, Altertumsforscher, Antikenhändler“, S. 134-139). Dabei unterliefen ihm bei der Zuordnung der Götterattribute und auch bei den lateinischen Inschriften gravierende Fehler, so dass er entlarvt wurde – allerdings zu spät. Kurios ist auch der Fall eines menschlichen Schädelfundes aus Paderborn-Sande, dessen Datierung in den 1970er Jahren von einem Frankfurter Wissenschaftler absichtlich gefälscht wurde: aus einem Schädel der frühen Neuzeit wurde so der vermeintliche Sensationsfund aus der jüngeren Altsteinzeit, die Überreste eines homo sapiens (Thomas Terberger, „Steinalt oder doch modern? Der ´geprotschte` Schädel von Paderborn-Sande“, S. 94-101). Oder der Fall des sogenannten „Berliner Meisters“, des armenischstämmigen Oxan Aslanian, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Ägyptische Museum in Berlin fast serienmäßig mit äußerst professionell erstellten gefälschten Reliefs „versorgte“. Er trat als Händler von ägyptischen Altertümern in Erscheinung, von denen einige auch Originale waren, und führte so auch angesehene Ägyptologen hinters Licht, bis er erst posthum „enttarnt“ werden konnte (Christian Bayer, „Wie es euch gefällt! Der `Berliner Meister´ und der frühe Handel mit ägyptischen Antiken, S. 102-109). Im Nachklang dessen wurde sogar Originalen eine Zeit lang unterstellt, aus der Werkstatt des Meisterfälschers zu stammen, wie im Falle des Reliefs der Königin Teje (ÄM 23270, S. 108, Abb. 8) durch Ludwig Borchardt.

Einen Ausblick auf die Aktualität und Wirkung von Fälschungen in der neuesten Geschichte liefert der Fall der gefälschten Hitler-Tagebücher (Julia Heimlich, „Kujaus Sternstunde. Der Skandal um die vermeintlichen Hitler-Tagebücher“, S. 156-165).

Ein ausführlicher Katalog schließt sich an, der durch Zusammenstellung von Originalen bzw. Vergleichsstücken und den gefälschten antiken Funden einen guten Überblick über die Variabilität, die Internationalität und auch die Tragweite von Fehlinterpretationen und absichtlichen Fälschungen in der Archäologie gibt (S. 174-329). Der Band wird von einem Anhang beschlossen, der aus einem umfangreichen Literaturverzeichnis und dem Bildnachweis besteht.

Insgesamt ist anzuzeigender Band äußerst kurzweilig und spannend zu lesen und regt zum Nachdenken an, wie viele der vermeintlich gesicherten archäologischen Funde in den Museen der Welt eigentlich „Irrtümer und Fälschungen“ sind, und dass man sich, besonders als Wissenschaftler, nicht erst seit den Zeiten, in denen „alternative Fakten“ weltweit kursieren, seiner Sache nie so sicher sein kann.