Vor nunmehr zehn Jahren initiierte die Wissenschaftliche Buchgesellschaft die Reihe WBG Weltgeschichte in sechs Bänden. Nach einer Durchsicht 2015 liegt nun diese zweite, verbesserte Auflage in insgesamt drei Sammelwerken neu zusammengestellt vor. Ausgabe 1 beschäftigt sich mit dem Beginn der Zivilisationen bis 600 n. Chr.; der zweite Teil greift die Zeiten zwischen 600 bis 1800 auf, und der dritte Band widmet sich der Entstehung der Moderne und der Globalisierung bis in die Gegenwart hinein.
Ziel der Zusammenstellungen ist die Verknüpfung der verschiedenen Kulturen über geografische und epochale Grenzen hinweg aufzuzeigen, also Globalisierung als historischen Prozess zu verstehen (vgl. Bd. 1, S. IX), der in der Vergangenheit begonnen bis heute nichts von seiner Dynamik verloren hat.
Die sechs gewählten Abschnitte stehen jeweils unter der Herausgeberschaft eines renommierten Wissenschaftlers, der für Themen und Bearbeiter verantwortlich zeichnet. Scharfe Abgrenzungen innerhalb der Bände wie auch zu den thematischen Schwerpunkten der einzelnen Ausgaben sollten bewusst vermieden werden, auch auf die Gefahr hin, dass Redundanzen hätten entstehen können. Die Konzeption, verschiedene Autoren mit der Bearbeitung unterschiedlicher Themen oder Epochen und Kulturkreise zu beauftragen, stellt diese Weltgeschichte in die Tradition universalgeschichtlicher Sammelwerke; zeitlich nicht allzu weit von dieser hier vorgestellten Bearbeitung entfernt, war einige Jahre zuvor der Verlag Brockhaus einen ähnlichen Weg gegangen.
Dass die Verflechtung der Welt zu Beginn der Menschheitsgeschichte intensiv gewesen sein muss, bezeugt alleine schon die Verbreitung des Homo sapiens auf allen Kontinenten an sich. Doch dort, wo diese Komplexität durch schriftliche Zeugnisse für den heutigen Forscher erstmals greifbar geworden ist, ist sie in vielen Bereichen durch die Separation der einzelnen Fachdisziplinen voneinander überlagert: in den Kulturen am Nil, des Zweistromlandes, des Indus sowie des Mittelmeeres. Die Darstellungen in der WBG Weltgeschichte blenden explizit die vorhandenen Globalisierungstendenzen aus und bleiben dem Muster konventioneller Einzeldarstellungen verhaftet. Afrika, China und Amerika werden zusammen unter der Überschrift „Ferne Lebensräume“ (Bd. 1, S. 367) abgehandelt, dabei sollte doch der nomenklatorische Eurozentrismus eben keinen Eingang in die Weltgeschichte finden. Vergeben wurde gleichfalls, sich auch mit theoretischen (aktuellen) Ansätzen zu einer Globalgeschichte auseinander zu setzen. Dieses Defizit zieht sich wie ein roter Faden durch alle Bände der Reihe, denn ohne Kenntnis der geschichtswissenschaftlichen Debatten lässt sich kein epochenübergreifendes und arbeitsteiliges Werk aus einem Guss schreiben. Dies wird besonders in der Betrachtung der Antike mehr als störend deutlich: Einzelgeschichte reiht sich in diesem Kapitel an Einzelgeschichte, wobei der Fokus nach Maßgabe der Reihenintention doch auf die Rolle des Mittelmeeres als Transport- und Lebensraum, auf Migrationen sowie auf den Austausch von Waren und Ideen zu lenken gewesen wäre. Diskussionen über z. B. die Entstehung und Funktion von Reichen (oder Imperien) in einer vergleichenden Analyse von Ost und West bleiben ebenso ein unerfüllter Wunsch.
Das frühe Mittelalter bis zum Ende der frühen Neuzeit bringen Mediävistik und Frühneuzeitforschung unter dem Aspekt einer Christentumgeschichte zusammen. In den Überschriften ist die „Welt“ das alles beherrschende Thema, die in „Vielfalt“, „Ordnung“ und „Deutung“ aufgegliedert wird; Aspekte einer Globalisierung treten hier erstmals ernsthaft zu Tage. Amerika indes wird ausgesperrt, da es nicht eingebettet war in den Kulturentransfer der damaligen Zeit. Ostasien und Indien sind gemeinsam mit Europa Ziel aller Erläuterungen, und das Judentum und der Islam in Kontextualisierungen zu den christlich geprägten Gemeinschaften stets präsent.
„Entdeckungen und neue Ordnungen“ schließen sich in der Überschrift an die gelungene vorhergehende Beschreibung an. Chronologisch überlappen sich beide Teile, in diesem zweiten Abschnitt liegt nun das Hauptaugenmerk auf der politischen Geschichte, der Technik- und der Wirtschschaftsentwicklung. Wiederum ist geografisch der Osten neben Europa mit den angrenzenden Randgebieten fest mit eingebunden, von denen als „Dichte-Zentren“ demografisches Wachstum und damit verknüpft technische Innovationen und Bildung zu erwarten waren.
Die Moderne ist erstes Thema des dritten Bandes, von etwa 1700 bis 1914 reichend. Auch hier spielen Demografie, Industrialisierung, Aufklärung, Christentum und Ideologien neben der politischen Geschichte die entscheidenden Rollen. Allerdings schränkt die Fokussierung auf Europa die Vorgabe einer weltumspannenden Betrachtung der Globalisierung zu sehr ein. Mit teilweise unzureichendem Faktenwissen kombiniert, stellt sich der dritte Band der Reihe wiederum als konventionelle Weltgeschichtsschreibung europäischer Prägung dar, die doch hätte überwunden werden sollen! Stereotype wie auch eine allgemein sehr unkritische Begriffsbenutzung lassen eine heute als Selbstverständlichkeit vorauszusetzende Werte- und Geschlechtsneutralität auf das Schmerzlichste vermissen.
In der Gesamtbetrachtung ist dem selbst formulierten Anspruch, die Welt und ihre Geschichte in allen Spielarten und Regionen mit einem offenen Blick zu betrachten nur in einigen, leider in zu wenigen Texten nachgekommen worden. Die viel zu oft streng nebeneinanderstehenden Beiträge lassen Intuition vermissen und sind oft nicht frei von störenden Sachfehlern. Es fehlt das Verständnis wie auch die Aufnahme beispielsweise der englischen oder französischen Kulturforschung, erst recht asiatischer oder amerikanischer Bevölkerungsgruppen. Weltgeschichte wird nicht nur in Abhängigkeit von Staaten und Kulturen geschrieben, die sich gegenseitig beeinflussen, sondern auch durch vergleichbare Prozesse in ohne unmittelbar miteinander in Kontakt stehender Regionen. Dies hätte ein weiterführender Ansatz für die Reihe sein können.
Somit ist die WBG Weltgeschichte eine mehrheitlich nicht überzeugende Umsetzung eines ohnehin fragwürdigen, weil nicht ausdifferenzierten Konzeptes. Positiv hervorzuheben sind die Reihen gut gemachter Karten und auch das gefällig gesetzte, übersichtliche Layout. Die Bebilderung ist sparsam, aber durchaus ausreichend.
Für einen wissenschaftlichen LeserInnenkreis wären weitere Literaturangaben und konkrete Quellenverweise Voraussetzungen gewesen, die eine aktuelle wissenschaftliche Kontextualisierung der Beiträge möglich gemacht hätten. So bleiben allgemein geschichtlich Interessierte als Zielpublikum erkennbar, die mit der preisgünstigen Sonderausgabe sicher erreicht werden.