Kern von Benedikt Steierers Buch Odysseus’ Heimkehr? ist die Unterscheidung von Medium und Form. Seine Arbeit ist im mediendefinitorischen Diskurs angesiedelt, in der der Untersuchungsgegenstand des Odysseus-Motivs nicht hauptsächlich in seiner filmgeschichtlichen Entwicklung nacherzählt wird (vgl. S. 70), sondern es werden anhand des Stoffes eine Vielzahl an Facetten medientheoretischer Blickpunkte aufgegriffen, abgehandelt und bewertet. Ein Drittel der Untersuchung verwendet Steierer darauf, dem Leser die Voraussetzungen und Konzepte medialer Auseinandersetzung gut verständlich und tiefgehend, allerdings auch stark selektiv vorzustellen (S. 14-71). Der von ihm gespannte Bogen berührt Niklas Luhmanns Medien-Form-Unterscheidung (S. 30-35), streift Joachim Paechs Intermedialitätsbegriff (S. 36-40) und endet bei dem Mythosbezug des homerischen Erzählstoffes (S. 55-68) durch Joachim Latacz und Aleida Assmann.
Die Homer zugeschriebene Odyssee beschreibt die verlustreiche Heimfahrt des vor Troja siegreichen und listenreichen Königs von Ithaka namens Odysseus. Von den Göttern mit einer jahrelangen Irrfahrt mit zahlreichen Entbehrungen geschlagen, auf der er nicht nur seine Flotte und alle seine Gefährten verliert, skizziert der mythische Stoff Höhen und Tiefen in einem Heldenleben. Die vielschichtige Erzählung kann daher aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen und wiedergegeben werden, deren Umsetzungen im Medium „Film“ Steierer auf den nachfolgenden Seiten seines Buches ausführlich beleuchtet. Anhand fünf ausgesuchter Beispiele will Steierer seine These untermauern, den Mythos im Film als cineastische Reanimation und zugleich als mediale Selbstreflexion anhand der Visualität und der Erzählform zu verstehen. Er postuliert nicht nur eine vermittelnde, sondern immer auch eine sinnkonstruierende Funktion im Medium und gelangt so zu Aristoteles‘ Aisthesislehre. Diese verknüpft er mit Luhmanns Erkenntnis, dass das Beobachten von Medien nicht nur beobachtbar ist, sondern auch eine Selbstbeobachtung der Medien einschließt, die wiederum zu beobachten ist. Somit wird im Odysseus-Mythos – nach Steierer – dessen Adaption wie auch die Mediengeschichte an sich sichtbar, lenkt man das Augenmerk auf die verschiedenen periodischen Entwicklungen im Medium „Film“.
Seine Untersuchung stützt er auf „L’île de Calypso ou Ulysse et le géant Polyphème“ (1905, Georges Méliès), „Ulisse“ (1954, Mario Camerini) und „Le Mépris“ (1963, Jean-Luc Godard). Hinzu treten „2001: A Space Odyssey“ (1968, Stanley Kubrick) und „Inception“ (2010, Christopher Nolan). Nehmen die ersten drei Beispiele explizit auf die Sagen um Odysseus Bezug, muss Steierer über die Erzählstruktur (vgl. S. 131) und motivische Übernahmen (vgl. S. 153) selbst erst Verbindungen schaffen (bei „Inception“, wie er einräumt, am unscheinbarsten).
Steierer gelingt es, die Darstellungsmöglichkeiten des frühen Kinos, die Kongruenz zwischen filmischer und literarischer Erzähltradition wie auch die filmische Selbstreflexion der Nouvelle Vague jedoch eher beobachtend als analysierend auf seinen medientheoretischen Vorspann rückzubeziehen.
Die Verbindung zwischen „2001“ und Odysseus lassen sich über den Namen (Bowman = Bogen-Mann; als solcher erschießt der antike Held die Freier an seinem Hofe), und einzelne Szenen wie die Einstellung der Kameralinse HALs als Parabel zu dem Auge des Polyphem deutlich herleiten. Steierer kommt zu dem Schluss, dass „der Film als Medium aufgrund seiner Audiovisuellen Medienspezifik dazu prädestiniert ist, die (Illusion der) autonom(n) Selbstreflexion für die Dauer des medialen Vollzugs stillzustellen.“ (S. 150)
„Inception“ – wenn dieser Film denn überhaupt geeignet ist, das Odysseus-Motiv als solches in sich zu transportieren, wovon Steierer jedoch ausgeht – „erweitert die Autoreflexion des filmischen Mediums um deren narrative Ausgestaltung und um die damit verbundene Explikation seiner Rezeptionsdispositionen.“ (S. 172)
Steierers Überlegung bietet durchaus einige neue analytische Ansatzpunkte, jedoch überdeckt der theoretische Ansatz die zu wenigen, dazu noch stark selektierten und teilweise stark abstrahierten Fallbeispiele und streift die mythentheoretische Debatte nur. Nicht mit einem eigenen Kapitel berücksichtigt wird von Steierer, dass sein gewähltes Narrativ im Film Vorläufer und (auch gegenwärtig) Parallelen vor allem in der Oper und im Theater hat, die das cineastische Medium stark beeinflusst haben und immer noch beeinflussen.