Kunst hassen
Eine enttäuschte Liebe

„Wer Kunst liebt, darf Kunst hassen“ (Umschlag 4) bildet das Credo des kleinen Büchleins, das Nicole Zepter als grundlegende „Kritik an dem Kunstsystem an sich“ (S. 15) konzipiert hat. Dabei greift sie vieles auf: die eigene Begrifflichkeit des Kunstbetriebs, die gegenseitige Interessenvermischung von Kuratoren, Kunsthändlern, Kunsthistorikern und Künstlern selbst (vgl. S. 15), die Kommerzialisierung von Ausstellungen und Kunstwerken (vgl. S. 18) sowie das Merchandising, die Sprachlosigkeit der Kunstschaffenden und die Orientierungslosigkeit der Betrachter von Kunst (vgl. S. 25), um nur einige Beispiele zu nennen.

Liebe und Hass sind die von ihr gesetzten Antipoden; auf die eine Seite setzt sie „sinnliche und intellektuelle Auseinandersetzung“ wie auch „ästhetische Erfahrung“ (S. 26), den Gegensatz bildet die Kanonisierung der Kunst „von wenigen Einflussreichen“ (S. 26), den es zurückzudrängen gilt. Denn Zepters erklärtes Ziel ist es, über Kunst über Gesellschafts- und Bildungsgrenzen hinweg zu reden und Distanz zur Kunst abzubauen (vgl. etwa sinngleich S. 29).

Viele der von ihr postulierten und angerissenen Problemfelder tauchen redundant über die verschiedenen Kapitel hinweg auf, besonders häufig die „Passivität des Besuchers“ (S. 35), das Museum als „Weihestätte“ (S. 36) oder die kunsthistorischen Begrifflichkeiten (vgl. S. 38), durch die der Besucher in die Rolle eines Unverständigen gedrängt werde, der erst durch Museumspädagogik Einblick in die „Codes“ (S. 72) der Kunst bekommt. Viele ihrer Kritikpunkte gehen dabei durcheinander, vermischen sich und bleiben unaufgelöst. So bemängelt sie mehrfach das Expertentum im Kunstsystem, zu dem sie „Fachjournalisten“, „Museumsleute, Galeristen, Kunsthistoriker und schließlich die Künstler selbst“ zählt (S.89-90) - die sich „in den Armen“ oder „miteinander im Bett liegen“ (S. 75) - negiert dabei aber, dass es eben auch nur einen kleinen Teil in der Gesellschaft gibt, der sich mit Kunst intensiv beschäftigen will. Expertentum wird von ihr als negative Komponente bei der Bewertung und Entwicklung von Kunst gesehen, offen bleibt bei ihr aber die Frage, wer anstelle dessen eine entstehende Lücke würde ausfüllen können. Die Entwicklung, dass Kunst seit der Frühgeschichte in einer Abhängigkeit zu einer gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Führung gestanden hat, meint sie mit einem Hinweis auf eine allgemeine modernzeitliche Demokratisierung als historische Fehlentwicklung abtun zu können. Dass Auseinandersetzung mit Kunst über den ersten Blick auf ein Objekt hinaus daran gebunden ist, frei von anderen lebensnotwendigen oder -bestimmenden Zwängen zu sein, wird von ihr nicht thematisiert. Sie fasst zusammen, dass Kunst (und das Museum) Raum für „Reflexion über Geschichte, Kunst, Gesellschaft und Politik“ (S. 33) bieten sowie in dem Betrachter „Freude und Inspiration“ (S. 34) hervorbringen möchte; Zepter blendet aber vollends aus, dass Kunst heutzutage mit vielen anderen Möglichkeiten in Konkurrenz steht, derartigen Ansprüchen zu genügen: Reisen rund um den Globus, Medienkonsum oder digitale Welten sollen hier nur stellvertretend für eine Vielzahl an weiteren denkbaren Alternativen zu einer Kunstbetrachtung stehen.

Hinzu kommt, dass Kunst bereits allgegenwärtig geworden ist: ob im Café an der Wand oder als Installation im öffentlichen Raum, als ästhetischer Rahmen von funktionalen Gebäuden wie Ämtern gleichsam als Voraussetzung bei der Ausschreibung von steuerfinanzierten Bauvorhaben. Eine Konsequenz davon ist die zunehmende Kommerzialisierung von Kunst und der dazugehörigen Strukturen, um die gewachsenen Bedürfnisse an Kunst zu befriedigen. Gewiss mag sich hier eine Investorenblase bilden, nur wird es weniger einschneidender sein, wenn diese platzt, als es etwa die Folgen des zusammenbrechenden Immobilienmarktes waren.

Zepters Buch lässt mit seiner „Das-muss-einmal-gesagt-werden“-Attitüde an die politische Fundamentalopposition denken, mit der Parteien wie die AfD gegen ein „System“ aufbegehren; besonders auch deshalb, da die Autorin Schattierungen gänzlich ausblendet und von einigen ausgewählten Fallbeispielen (Ausstellung Soma, S. 23-30; Interview Eugen Blume, S. 53-67) kommend verallgemeinernd eine Krise des Kunstbetriebs verschreibt. Eine „ästhetische Erfahrung“ der Kunst, losgelöst von künstlerischen oder gesellschaftlichen Codes, ohne Kunsthistorik oder -handel, wie von Zepter vorgeschlagen, ist abzulehnen. Denn die historische Betrachtung, die Zepter als überkommen abtut, ist aus der Notwendigkeit erwachsen, die Bildsprache der Kunstwerke zu entschlüsseln, um sich ihrer Bedeutungsebene zu nähern: Um Arno Brekers in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entstandenen Skulpturen als formgebende diktatorische und menschenverachtende Weltanschauung nicht von einer möglichen, ihnen innewohnenden Ästhetik überdecken zu lassen oder um hinter der körperlichen Unvollkommenheit einer „Trunkenen Alten“ die Interaktion mit einem Gott zu erkennen. Zepter scheint keine Scheu davor zu haben, derartige Ausdifferenzierungen und Ausdeutungen über große, verschiedene Kultur- und Zeiträume hinweg auch BloggerInnen im Netz zu überlassen, denn die „seichte, vom Ausstellungsbetrieb abhängige Kunstberichterstattung“ durch Katalogtexte und Kunstkritik sei „von einer Beurteilung und dem Diskurs weit entfernt“ (S. 74). Die Buchautorin wendet sich also nicht nur gegen ein Expertentum und dessen humanistische Wertevorstellungen, sondern spricht diesem zudem noch eine erkennende Kompetenz ab.

Dem Verlag sei noch mitgegeben, dass der Eindruck einer journalistischen Unabhängigkeit in Frage gestellt ist, wenn auf dem Titelblatt mit einer äußerst positiven Besprechung des Buches („Ein herrliches Buch, eine furiose, klug und witzig formulierte Polemik gegen den Kunstbetrieb“) durch Evelyn Roll von der Süddeutschen Zeitung geworben wird, um zwei Seiten später die Zepter als Verfasserin für eben jene Süddeutsche Zeitung vorzustellen.