„Pharaonin, Göttin, Visionärin“ sind die wesentliche Apostrophierungen, die Sabine Kubisch und Hilmar Klinkott in das Zentrum ihrer Kleopatra-Biografie gestellt haben. In einem gut lesbaren Stil haben sie aufbauend auf den Überlieferungen antiker Autoren Aufstieg und Fall der letzten ptolemäischen Herrscherin konzis in sechs Kapiteln für eine historisch interessierte Leserschaft aufbereitet. Die Leitidee des hier anzuzeigenden Bandes ist die Verwurzelung Kleopatras einerseits „in der altägyptischen Kultur und Herrschertradition“ (Friederike Seyfried, Geleitwort, S. 5) und ihre Einbindung in das politische Weltgeschehen der Mittelmeerregion im 1. Jahrhundert v. Chr. andererseits aufzuzeigen. Dabei werden die Quellen über die Pharaonin „vom Ballast der wertenden Anekdoten und Bilder“ befreit (S. 6) und der Blick auf ihre Rollen als „Politikerin, Mutter, Königin und Göttin“ (S. 6) geschärft.
Thematische Schwerpunkte werden als farblich besonders hervorgehobene Exkurse vertieft: Pharaoninnen (S. 16-17), die Göttin Isis (S. 21), die Geschichte Thebens (S. 32-33), die königliche Legitimation im pharaonischen Ägypten (S. 40-41), Alexandria (S. 76-77), Octavians Propaganda gegen Kleopatra (S. 83), Herodes (S. 88-89), Kleopatra und Kleopatra Thea (S. 98), Kleopatras Schönheit (S. 112) und die Königin als Werbeikone (S. 141). Kartenmaterial zum Herrschaftsgebiet der Kleopatra (S. 8/9), zum ptolemäischen Ägypten (S. 25), zu Alexandria (S. 74/75), zur politischen Situation nach Caesars Tod (S. 104/105) und zur Schlacht bei Actium (S. 122) verdeutlichen die Geografie wichtiger im Text erwähnter Orte oder Ereignisse. Auf Seite 9 ist das Kartenmaterial jedoch unvollständig, denn es fehlt der Aralsee. Die Bebilderung ist reichhaltig – zumeist sind es Malereien und Stiche des 18.-20. Jahrhunderts zu antiken Themen, die auf Kleopatra direkt oder mittelbar Bezug nehmen, Fotografien zu historisch wichtigen Orten oder Rundbilder im Text abgehandelter Personen. Die Aufmachung des Buches ist mit ägyptisierendem Dekor als Stilelement durchgängig einheitlich gestaltet. So ist ein mit Freude anzusehender Band entstanden.
Da über die Jugendzeit der späteren Herrscherin in der antiken Geschichtsschreibung kaum etwas berichtet wird, nutzen die beiden Autoren das Kapitel „Das Leben der ptolemäischen Prinzessin (51-44 v. Chr.)“ (S. 11-33), um die Rolle von Frauen auf dem Ptolemäerthron zu beschreiben, einen sehr kurzen Abriss zu Kleopatras Vater Ptolemaios XII. zu geben, auf die Priesterfamilie des Psenptah hinzuweisen und das Verhältnis zwischen den Ptolemäern und der Thebais zu beleuchten, um abschließend auf Kleopatra – die siebente dieses Namens – als Mitregentin ihres Vaters und nach dessen Tod als die ihres Bruders Ptolemaios XIII. einzugehen. Als roter Faden zieht sich das Thema „Legitimation“ durch die Unterkapitel, denn „dass die Alleinherrschaft einer Frau nach makedonischem und ägyptischem Verständnis“ (S. 13) hätte denkbar sein können, lehnen beide Verfasser ab. Sie ziehen daher in politischer Hinsicht die Regentschaft der Königin Hatschepsut (1479-1458 v. Chr.) als Kleopatras Vorbild in Betracht (vgl. S. 29-30). Als ein Argumentationsstrang bedienen sie sich der baulichen Anwesenheit der Ptolemäerin in Oberägypten (z. B. in Armant, Koptos, Dendera, Kom Ombo, Edfu, Theben oder Deir el-Medineh), um daraus abzuleiten, sie hätte die auch älteren Bauwerke jener Region gekannt und die mit ihnen verbundenen Aussagen von Priestern erklärt bekommen, einschließlich des Terrassentempels Hatschepsuts in Deir el-Bahari. Dies mag nicht auszuschließen sein, aber ein stichhaltiger Grund ist es kaum. Anders sieht es bei der Stele Louvre E 27113 aus, die Kubisch und Klinkott anführen, denn auf dieser ist der Isis opfernd die Ptolemäerin als Mann dargestellt; sie trägt somit der altägyptischen Darstellungskonvention Rechnung, die auch bei Hatschepsut festzustellen ist, woraus sich ein konkreter Bezug zwischen den beiden Königinnen herstellen lässt (anders z. B. Ch. Schäfer in seiner Kleopatra-Biografie (S. 36), der von einer umgearbeiteten Stele ausgeht/2785/). Und: Ihren Bruder schließt sie bereits zu Beginn ihrer Herrschaft auf ihren im ägyptischen Stil gehaltenen Denkmälern konsequent als Koregenten aus (vgl. S. 30). So scheint sie zu implizieren, stellvertretend auch für diesen die Regierungsgeschäfte wahrzunehmen, selbst wenn Ptolemaios XII. testamentarisch verfügt hatte, die Herrschaft zu gleichen Teilen der Kleopatra VII. und seinem ältesten Sohn Ptolemaios XIII. hinterlassen zu haben, den in Alexandria ein Gremium von drei Personen vertrat. Der sich im Sommer 49 v. Chr. vollzogene offene Bruch der Geschwister wird hier seinen Anfang genommen haben.
Kubisch und Klinkott nehmen den Leser dann mit in die Zeit des römischen Bürgerkriegs 49-45 v. Chr., in den auch die ägyptischen Potentaten direkt verwickelt wurden und der mit dem Alexandrinischen Krieg 48-47 v. Chr. auch Spuren am Nil hinterließ („Die junge Königin und Caesar (51-44 v. Chr.)“, S. 35-61). Dieses Kampfgeschehen selbst wird im Band aber kaum thematisiert, obgleich durch den lateinischen Kriegsbericht viel Material zur Verfügung steht. Ausführlich gehen die Autoren stattdessen auf den oder die Aufenthalte der ägyptischen Herrscherin in Rom ein; bei diesen Gelegenheiten war auch der mit Caesar gezeugte Sohn namens Kaisar am Tiber und wurde so der römischen Bevölkerung als Spross der westlichen und östlichen Welt präsentiert. Beide Verfasser sehen politisch und kulturell eine Orientierung Caesars an ägyptischen Herrschaftsmodellen: Das ptolemäische Königtum sollte auf römische Verhältnisse übertragen werden, und auch die julianische Kalenderreform erfolgte in Kooperation mit dem alexandrinischen Astronom Sosigenes. Der Beginn des Jahres wurde auf den Tag gelegt, an dem der Stern der Isis erschien, also der Göttin, deren Rolle spätestens mit der Geburt ihres ersten Sohnes der Kleopatra zugefallen war. Rezensent wirft ein, dass Caesar während seiner zahlreichen Eroberungen in Kontakt mit vielen Herrscherhäusern und so mit Legitimationskonzepten gekommen war. Ein für ihn unter Umständen angedachtes Konzept unmittelbar mit dem ptolemäischen Herrscherhaus zu verknüpfen, ist zwar wiederum möglich, aber die Quellenlage unzureichend. Alexandria war seit seiner Gründung ein Hort des Wissens und der Gelehrsamkeit, womit die Einführung eines neuen Kalenders mithilfe Gelehrter von dort gleich gut interpretiert werden kann als Machtdemonstration im Sinne von „Caesar als Herr über das Wissen“. Mit der Ermordung des Römers 44 v. Chr. erlischt die Verbindung zwischen Rom und Alexandria.
Dauerhaft zurück in Ägypten baute Kleopatra ihren Erstgeborenen sukzessiv zum Nachfolger auf dem Thron aus („Kleopatras Ziele nach Caesars Tod (44-31 v. Chr.)“, S. 63-79). Über die sog. Geburtslegende hatte sie noch zu Lebzeiten des Kindsvaters ein seit dem 16. Jahrhundert v. Chr. bekanntes Konzept der Legitimation des Thronfolgers als Relief am Tempel in Dendera anbringen lassen (S. 59). Kern ist, dass der höchste Gott mit der leiblichen Mutter einen Sohn mit göttlichem Funken zeugt, wie die Autoren ausführlich belegen. Dass schon Alexander dem Großen diese Gotteszeugung zugeschrieben wurde, die Kleopatra für sich und ihr Kind wieder aufnimmt, lässt sich hierzu ergänzend anmerken. Zudem festigt sie ihre eigene Stellung, da sie als Königsmutter die Regierungsgeschäfte in Stellvertretung ihres noch unmündigen Sohnes bestimmen darf – ein u. a. altägyptisches Konzept, das bis in das 3. Jahrtausend v. Chr. zurückreicht. Die Proskriptionen in der Folge des zweiten Triumvirats überstand Ägypten ohne größere Verwicklungen. 41 v. Chr. plante Kleopatra, den Römer Marc Anton bei seinem Kampf gegen die Parther als Exekutivmacht Roms zu unterstützen. Bei ihrem Zusammentreffen in Tarsos wurde ein dauerhafter Pakt geschlossen, der mit den Siegen Octavians 31 und 30 v. Chr. gegen die Heere des Ostens sein Ende finden sollte. Dieses Kapitel lehnt sich am stärksten von allen an die antiken Autoren an und wiederholt weitgehend bereits bekannte Fakten.
Im Abschnitt „Kleopatra auf dem Höhepunkt ihrer Karriere“ (S. 81-107) fassen die Autoren die Verbindung der Königin mit Marc Anton und den beginnenden Zwist mit Octavian zusammen. Das wechselvolle Verhältnis des Paares untereinander wird en detail beschrieben und in Facetten ausgedeutet. Dem Exkurs „Octavians Propaganda gegen Kleopatra“ (S. 83) folgt Rezensent nicht. Denn im Wesentlichen stützen sich alle hier zusammengetragenen Textstellen auf nachaugusteische Quellen, sodass ihre Aussagen als nicht zweifelsfrei authentisch angesehen werden müssen, sondern für andere politische Verhältnisse im 1. Jahrhundert n. Chr. umgedeutet wurden; die einzige zeitgenössische Stelle bei Horaz wird stark verkürzt wiedergegeben und lässt die dort gewählte Formulierung der Kleopatra als „edle Frau“ völlig außer Acht. Quellenkritisch hätte in diesem Exkurs sorgsamer vorgegangen werden können. Denn im Grunde richtet sich Octavians Propaganda gegen Marc Anton und seine Parteigänger, die für ihn in Rom eine Gefahr darstellen; Kleopatra war niemals in der Lage, die politische Macht des späteren Augustus auch nur ansatzweise zu gefährden. Dies bemerken die Verfasser selbst, wenn es im weiteren Verlauf des Buches um die Verhandlungen zwischen Octavian und Kleopatra 31 v. Chr. geht (vgl. S. 124).
Die große territoriale Ausdehnung des ptolemäischen Reiches zu Lasten ehemals römischer Gebiete wird von den Autoren als ein Kriegsgrund des Jahres 32 v. Chr. gesehen, der zum Kapitel „Octavians Krieg gegen Kleopatra (31-30 v. Chr.)“ (S. 109-135) überleitet. Mit der Trennung von seiner römischen Ehefrau Octavia, der Schwester Octavians, zerriss Marc Anton zudem die familiären Bande zu seinem ehemaligen römischen Triumvirn und ersetzte sie mittels der Heirat Kleopatras durch die ptolemäische Familienzugehörigkeit (vgl. S. 110). Die nachfolgenden Niederlagen des ägyptischen Heeres und der Truppen Marc Antons gegen die Armeen Octavians bei Actium 31 v. Chr. und bei Alexandria 30 v. Chr. brachten das Ende der ptolemäischen Herrschaft über Ägypten und Kleopatra den Tod, wie es die Verfasser schildern. Ihre Betrachtung der ägyptischen Königin schließen sie mit einem Blick auf die Faszination ab, die ihr innewohnt („Kleopatra und ihre Rezeption bis in die Neuzeit“, S. 137-149).
Der allgemeinen weiterführenden Literatur hätte Rezensent noch M. Clauss und U. Baumann mit ihren Kleopatra-Biografien zugefügt. Auf englischsprachige Werke wie die von J. Fletcher wie auch auf den Katalog von R. S. Bianchi wird nicht eingegangen.
Sabine Kubisch und Hilmar Klinkott ist es gelungen, Kleopatras Leben und Wirken in einem gut gegliederten und äußerst ansprechend gestalteten Band zu vereinen. Überzeugend gelingt es ihnen, den oft geäußerten Vorbehalt zu entkräften, der pharaonischen Kultur entnommene Formen und Konzepte wären in erster Linie Ausdruck einer dekorativen Ägyptomanie, die Teile der römischen Elite pflegten. Sie setzen dieser These konsequent die Wirksamkeit etwa legitimatorischer Konzepte des alten Ägypten entgegen und heben so hervor, wie sich Teile der altägyptischen Kultur vermittelt durch das ptolemäische Herrscherhaus im Mittelmeerraum ausbreiten konnten.