Die Beiträge einer Vortragsreihe am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München sind Kern des vorliegenden Sammelbandes, der die Bedeutung Roms für und der die Beziehungen der Stadt zu Europa schlaglichtartig beleuchtet.
Namensgebend für den Band ist die antike Selbsteinschätzung der Römer für ihre Heimatstadt als umbilicus urbis. Deren Verhältnis zu der sie umgebenden Welt ist ambivalent, wie die verschiedenen Artikel nachdrücklich widerspiegeln. Einst Mittelpunkt des Römischen Reiches, dann bis in die Gegenwart hinein Zentrum des lateinischen Christentums und heute Sitz einer europäischen Regierung scheint der Ort nichts von seiner Wirkkraft verloren zu haben. Die Einleitung der Herausgeber Jochen Johrendt und Romedio Schmitz-Esser (S. 7-14) relativiert diese Ansicht mit dem Hinweis auf historische und kulturelle Brüche; der „Nabel der Welt“ ist darum zutreffend auch als Frage formuliert worden.
Den Blick auf das antike Rom eröffnet Martin Zimmermann in seinem Beitrag „Zentrum und Spiegel der Welt“ (S. 15-32). Ausgehend vom römischen Credo, sich die damals bekannte Welt Untertan zu machen, skizziert er die Widersprüchlichkeit zwischen dem Anspruch und der Realität, die sich im Besonderen darin ausdrückt, dass Rom multikulturell sein will, in seiner städtischen Struktur jedoch eine strenge Abschottung gegen alles Fremde pflegt. Um der Profilierungssucht der führenden Eliten entgegen zu wirken, sind aufwendige wie teure Großbauten bis in das 1. Jahrhundert verpönt; in der Folge wird das heute bekannte antike Stadtbild erst in der römischen Kaiserzeit geprägt und endet abrupt durch die Verlagerung des Regierungssitzes nach Konstantinopel bzw. Ravenna. Die Zerstörung der Stadt durch die Westgoten unter Alarich im Jahre 410 setzt einen akzentuierenden Schlusspunkt unter die Blütezeit der einstigen Metropole. Erst das fränkische Macht- und Legitimationsstreben Karls des Großen leitet mit seiner Krönung zum Kaiser Weihnachten 800 in Rom eine kulturelle Wiederbelebung der Stadt ein. Es wird jedoch wenigstens noch 500 Jahre – bis zum ersten offiziellen Heiligen Jahr 1300 – dauern, dass sich hieraus auch ein positiver Niederschlag für den Ort selbst ablesen lassen wird.
In dem Widerstreit der Kaiser und Päpste um die autoritäre Vorrangstellung im christlichen Reich und in der Apostelstadt Rom, ist das Erstarken des Christentums der Motor zu einer neuen Stadtprägung. Die Durchsetzung der Ansprüche der Päpste im 8. und 9. Jahrhundert gegenüber dem Fränkischen Reich wird von Sebastian Scholz in dem Aufsatz „Rom. Hort des wahren Glaubens“ (S. 33-47) beschrieben. Karl der Große hatte alle politische Macht auf sich vereinigt, die Papst Hadrian I. dadurch zu begrenzen suchte, indem er religiösen Gehorsam und politischen Erfolg in Abhängigkeit voneinander setzte (vgl. S. 36). Die religiöse Autorität verortete der Papst in Rom, wo mit Petrus und Paulus zwei bedeutende Apostel gewirkt hatten und auch begraben worden waren. Die Reaktion des Kaisers auf diesen Vorstoß aus Rom zeigt sich in den Frankfurter Synoden, auf denen unabhängig von römischen Vorgaben in Absprache mit Karl Beschlüsse zu Kirchenfragen gefasst wurden, die auch außerhalb des Frankenreiches Gültigkeit haben sollten. Seine Haltung unterstrich der Kaiser durch seine Gleichsetzung mit dem testamentlichen König David, die einen Gegenentwurf zur Identifikation des Papstes mit Petrus darstellen dürfte (auch wenn Scholz dies explizit nicht ausführt). Als Verteidiger des katholischen Glaubens forderte Karl so für sich Mitsprache in theologischen Fragen ein, die die Päpste in Rom aus ihrem Selbstverständnis heraus nicht gewillt waren, den Franken und ihren Theologen einzuräumen. Die Grundlage zum Investiturstreit liegt, wie Scholz darstellt, ohne die historische Dimension fortzuspinnen, in der Aussagekraft der jeweiligen historisch angeeigneten Rollen David und Petrus, die fränkischer Kaiser und römischer Papst im Widerstreit zueinander auszufüllen versuchten. Über Bild- und Textpropaganda lässt sich Dauer und Intensität dieses Konflikts im 8. und 9. Jahrhundert (vgl. S. 40-44) und weit darüber hinaus nachverfolgen.
Hieran schließt Knut Görich mit seinen Untersuchungen zu „Aurea Roma: Kaiser, Papst und Rom um das Jahr 1000“ an (S. 49-66), der auf die unlösbar gewordene Bindung beider Ämter aufmerksam macht, wenngleich sie nicht immer gewünscht wurde. In diesem Kontext bauten die ostfränkisch-deutschen Kaiser ihre Bindung an die Stadt Rom immer weiter aus, während ein dauerhaft politisches Zentrum in ihrer Heimat fehlte, wie es im Bewusstsein eines Nationalismus im 19. Jahrhundert postuliert worden ist (vgl. S. 50). Ob dieser Zusammenhang so zutreffend ist, bleibt aufgrund der Quellenlage ungewiss. Sicher hingegen ist, dass das geschlossene Bündnis zwischen Kaiser und Papst immer wieder zum Schutz des Pontifex das Eingreifen des fränkischen Herrschers am Tiber notwendig machte, selbst wenn sich dieser den militärischen und politischen Eingriffen als ein ungewolltes Dauerproblem zu entziehen suchte. Denn deshalb stand der Kaiser zunehmend im Streit mit großen Teilen des römischen Adels, die ihrerseits durch eine von ihnen gelenkte Papstwahl ihre Machtposition nach innen zu stärken suchten. Eine antike Tradition, die den ostfränkischen Kaiser in der Nachfolge römischer Caesaren an den Tiber gelockt hätte, wird um die Jahrtausendwende kaum der eigentliche Beweggrund kaiserlichen Handels gewesen sein, sondern tatsächlich die realpolitische Verflechtung der politischen und religiösen Ämter (vgl. S. 53). Dem Einfluss auf die Papstwahl kam somit hohe Bedeutung zu, selbst wenn der Nachfolger Petri außerhalb Roms immer weniger Autorität besaß. Der Kaiser knüpfte anscheinend bei seinen Aufenthalten in Rom auch Bande mit stadtrömischen Familien und Klöstern, um seine Position in Zeiten eigener Abwesenheit nicht in Gefahr zu bringen (vgl. S. 57-61). Dieses Konzept griff jedoch nur bedingt, da der Interessenausgleich zwischen Stadtelite und fränkischer Oberschicht nicht immer für alle Seiten befriedigend austaxiert werden konnte. Die römische Bevölkerung blieb in einer unberechenbaren Wechselbeziehung zum ostfränkisch-deutschen Kaiser.
Im 12. Jahrhundert formte sie sich zu einer eigenständigen Kommune, wie Romedio Schmitz-Esser ausführt (S. 67-85). Damit betrat ein weiterer Machtfaktor die europäische Bühne, obgleich die Selbsteinschätzung höher als die realpolitische Macht war. Die Kommune des 12. Jahrhunderts bestand wohl im Wesentlichen aus dem römischen Mittelstand, nicht aus den Adelsfamilien. Ziel der Kommune war es, Rom unter eine senatorische Aufsicht zu stellen und sich in der Folge dem Zugriff des Papstes zu entziehen. 1155 scheiterte das Vorhaben endgültig, zum einen deshalb, da der Adel Position zugunsten des Papstes bezog, zum anderen, da die wirtschaftliche Abhängigkeit der Stadt vom Pontifikat zu groß war. Versuche, auf die antike Bedeutung der Stadt und ihrer alten Institutionen aufzubauen und der Kommune damit eine Legitimität zu verschaffen, fanden keinen Widerhall. Was in den Städten Norditaliens als Konzept politischer Beteiligung erfolgreich funktionierte, gelang aufgrund der besonderen Stellung Roms dort nicht.
An die ökonomische Bedeutung des Papstsitzes für die Stadt schließt auch der Beitrag Jochen Johrendts an, der das erste Heilige Jahr 1300 beleuchtet (S. 87-101). Er schlägt in seinen Betrachtungen zwei Faktoren für das erste belegte, gefeierte Jubeljahr vor: eine Kanalisierung der zahlenmäßig stetig gestiegenen Bußprozessionen nach Rom und ökonomische Interessen des Peterskapitels, wobei die Rolle und die Intention Bonifaz‘ VIII. aufgrund der Quellenlage nicht klar definiert werden kann.
Die Rückkehr der Kurie nach Rom im 15. Jahrhundert wird von Jürgen Dendorfer aufgerollt (S. 103-115). Die Betrachtung des historischen Prozesses wird vom Autor um die baupolitischen Maßnahmen erweitert. Er leitet in die Epoche der Renaissance über, die als gelehrte Stadt von Michael Matheus vorgestellt wird (S. 117-133). Trotz der schlechten Quellenlage konzentriert er sich auf die Rolle der Universitäten im Verhältnis zu Kurie und Papst, wirft einen Blick auf Kollegien und Akademien, auf die zahlreichen Bibliotheken und allgemein auf die Bildungsstruktur, eingeschlossen die Buchproduktion und den -handel.
Matthias Schnettger hat sich der Deutschen und deren Beziehung zu Rom in der Neuzeit angenommen (S. 135-153), der Sabine Meine einen eigenen Beitrag zu Franz Liszt folgen lässt (S. 155-171). Das Verhältnis zwischen Rom und deutscher Kultur wird vor allem durch die Reformation Luthers neu definiert, aber auch durch nationale Bestrebungen im Heiligen Römischen Reich, die den Akzent weg vom Römischen auf das Deutsche lenken. Trotz der religiösen Differenzen des 16. Jahrhunderts ist Rom spätestens im 18. Jahrhundert wieder Sehnsuchtsstätte deutscher Gelehrter, die mit der römischen Antike Bildung und zivilisatorische Errungenschaften verbinden; diesem Bild steht jedoch auch immer die Abgrenzung gegenüber, die im Hermannskult einen Befreier von römischer Oberherrschaft – und dies nicht nur in historischer Dimension – sieht. Das nationale Selbstbewusstsein der Deutschen führt auch in katholischen Kreisen bis hinein in die Kirchenorganisation zu Brüchen mit der römischen Kurie. Zudem belasteten politische Verstrickungen das religiös begründete Konzept „deutsches Kaisertum“ vs. „römisches Papsttum“, dessen wechselvolle Beziehung 1806 mit der Niederlegung der Kaiserwürde durch Franz II. ihr endgültiges Ende fand. Die Pflege und Verbreitung deutscher Musikkultur wird am Beispiel von Nadine Helbig festgemacht. Deren Salon an historisch herausragender Stätte verband das supranationale Salonwesen mit den gesellschaftlichen Netzwerken der internationalen Politik.
In Rom unter dem Faschismus beleuchtet Martin Baumeister die Utopie, durch die Aufwertung der Stadt zum Regierungssitz an antike imperiale Größe anknüpfen zu wollen (S. 174-189). Das heute sichtbare Rom ist in vielen Teilen das Rom Mussolinis – und der Umgang damit in der Stadt selbst unkommentiert, unkritisch und akzeptiert. Abschließend wirft Claudia Märtl einen literarischen Blick von der Antike her kommend bis in das 21. Jahrhundert hinein auf die „grausame Stadt“ (S. 191-206). Ein Abbildungsverzeichnis und zwei Register sind den Beiträgen nachgestellt.
Vorgelegt worden ist ein buntes, römisches Kaleidoskop, das über verschiedene Epochen hinweg und unterschiedliche Themenbereiche streifend erfrischend neue Blicke auf die alte Stadt am Tiber werfen lässt. Roms Bedeutung über mehr als 2500 Jahre ist eindringlich in Einzelaufsätzen dokumentiert. Die Auswahl der thematischen Schwerpunkte ist vielfältig, und auch dem versierten Romkenner eröffnet der Band neue Perspektiven; seien sie auch einige Male nur auf den Mikrokosmos beschränkt und bleiben dem Nabel mit der Welt fern. Fünf der insgesamt elf im Band versammelten Abhandlungen haben das Papsttum zum Inhalt, die dennoch nach Meinung des Rezensenten die größte inhaltliche Breite aufweisen und in ihrer Mehrschichtigkeit das größte Interesse im Sinne eines „Lesebuchs“ (vgl. S. 13) geweckt haben. Das Ziel, einen „Einblick in Aspekte der aktuellen Romforschung“ (S. 13) zu ermöglichen, hat der Band trotz der begrenzten Seitenzahl erfolgreich erreichen können.