Dichterhäuser
Mit Fotografien von Achim Bednorz

Der Dichter und sein Arbeitsraum ist ein Motiv nicht nur in der Literatur selbst, sondern ebenso in der bildenden Kunst. Prominente Beispiele sind etwa Karl Spitzwegs „Der arme Poet“ oder Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins „Goethe in der Campagna“. Die Faszination ihrer Texte, die zahlreiche Autoren hinterlassen haben, lässt uns nach den Verfassern selbst fragen und führt uns unweigerlich in ihre Zeit und zu ihren Lebensumständen sowie zu ihren Schaffensorten. Dabei ist die Erkenntnis gewachsen: Schreiben als kreativer Prozess verlangt hochkonzentrierte Arbeit, verknüpft mit umfangreicher Recherche und ständiger Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk und dem vergangener und gegenwärtiger Schriftsteller. Diese Ansprüche muss der Arbeitsplatz eines Dichters hinreichend erfüllen: Er muss Platz für eine eigene Bibliothek bieten, Zugriff auf Literatur anderer ermöglichen z. B. in Form einer Kirchen-, Stadt-, gräflichen oder öffentlichen Bibliothek, Raum für Begegnungen haben, aber auch abgeschieden genug sein, um in Ruhe arbeiten zu können, und Möglichkeiten bieten, das eigene Werk etwa in Zeitungen, als Druck oder nun auch digital zu publizieren.

Bodo Plachta nimmt seine Leser im vorliegenden Band nun mit an die Orte, an denen – wie er sie überschreibt – Dichter zu Hause waren und einige große Werke entstanden sind. Die Wertschätzung, die den Wohnstätten berühmter Autoren zuteil werden kann, beschreibt Plachta einleitend am Beispiel des griechischen Lyrikers Pindar von Theben, der im 5. Jahrhundert v. Chr. verstorben, eine Wirkung entfaltet hatte, die es Alexander dem Großen rund einhundert Jahre später unmöglich erscheinen ließ, bei der Einnahme und der anschließenden Zerstörung der griechischen Stadt auch dessen Wohnhaus dem Erdboden gleich zu machen.

Wenn sie lokalisierbar waren, entwickelten sich Dichterhäuser – zumindest in Europa – zunehmend zu touristischen Attraktionen und die Utensilien der Schriftsteller zu beliebten Souvenirs (vgl. S. 8-9). In Deutschland 1847 offiziell zur nationalen Gedenkstätte erhoben, ist Schillers Wohnhaus in Weimar (ein Foto vom Arbeitsplatz ziert den Schutzumschlag des anzuzeigenden Buches) der Höhepunkt in dieser Entwicklung, dabei gleichzeitig der Beginn einer musealen Verstetigung der Schaffensräume von Dichtern und Denkern und Ausdruck eines öffentlichen Interesses an ihnen. Im 20. und 21. Jahrhundert sind es zudem testamentarische Verfügungen, die Wohnhäuser bekannter Autoren oft als Stiftungen für die Nachwelt bewahren sollen.

In wie weit die heute zu Museen oder Begegnungsstätten umfunktionierten Schaffensorte bekannter Schriftsteller auch eine unmittelbare Bedeutung für ein Einzel- oder ihr Gesamtwerk hatten, bleibt in vielen Fällen unscharf. Plachta weist mit Recht darauf hin, dass Lyriker selten Bauherren ihrer Häuser waren, da sie oft in bereits existierende Gebäude einzogen. Wenn also überhaupt zeichneten sie für die Anlage der Zimmer und die Ausstattung verantwortlich, waren hierbei aber natürlich all zu oft auch von praktischen Notwendigkeiten beschränkt (S. 15). Dies konnte ein Mietverhältnis sein, das größere Umbauten verbot, mangelnde finanzielle Mittel, die familiären Verhältnisse oder – nicht zu vergessen und zu vernachlässigen – politische Umstände, die zur Flucht zwangen oder zum Bleiben veranlassten. Verkompliziert wird die Bedeutung des Dichterhauses durch den Umstand, dass viele Autoren an vielen unterschiedlichen Orten wohnten – nacheinander, aber auch zeitgleich. Und schreibende Frauen waren lange Zeit eingebunden in die Lebensumstände ihrer Männer, die es bei einer Analyse ihrer Werkschau zu berücksichtigen gilt. Plachta versteht Dichterhäuser daher als „Eingangsportal in die Welt der Literatur“ (S. 16), ungeachtet aller Zufälligkeiten und Zuschreibungen, denen der Wohnort bekannter Persönlichkeiten ausgesetzt ist. Er kann, er muss aber nicht ihr Schaffen unmittelbar beeinflusst haben. Diese Komponente bei der Werkschau aber zu vernachlässigen würde bedeuten, auf ein vollständiges Bild der Lebensumstände zu verzichten und damit eventuell einen Aspekt auszublenden, der gegebenenfalls eine neue Spur bereithält.

Im vorliegenden Band sind die Dichterhäuser selektiv ausgewählt. Sie liegen sämtlich im deutschsprachigen Raum und sind als Gedenkstätten oder Museum öffentlich zugänglich. Die entsprechenden Anschriften sind im Anhang aufgelistet (S. 262-264). Zu ihm gehören zudem ein umfangreicher Anmerkungsteil (S. 254-261) sowie Literaturhinweise (S. 265-267) und ein Register (S. 268-272) nebst Bildnachweisen (S. 272). Achim Bednorz hat den Band kongenial bebildert, sodass dem Betrachter auch dank der großformatigen Aufnahmen das Gefühl vermittelt wird, teilweise inmitten der Räume zu stehen. Elf, nach zeitlichen Kriterien gegliederte Abschnitte schlagen vom Mittelalter her kommend über Klassik und Kaiserzeit den Bogen bis in die Nachkriegszeit, namentlich Dürrenmatt. Auf jeweils einer Seite führt Plachta knapp zu seinen Überschriften ein. Neben einer historischen Einordnung blickt er auf die Architektur der jeweiligen Epochen. 51 Einzelbetrachtungen erschließen gemietete, ererbte oder gekaufte Dichterwohnstätten. Dies verknüpft er mit kurzen Überblicken über das Gesamtwerk der dazugehörigen Autoren und deren Lebensumstände, die sie an die besprochenen Orte gebracht hatten. Wie beispielsweise im Fall Hermann Hesses sind auch das Inventar beschrieben, das ebenfalls prominent für das Schaffen eines Dichters steht: die extra für seine Indienreise angefertigten Anzüge aus weißem Leinen (S. 175) oder sein oft mit ihm umgezogener Schreibtisch (S. 173).

Bedauern mag man nur, dass die Informationen über die Häuser selbst im Vergleich zu der Werkschau der Dichter sehr kurz kommen – Peter Braun hatte sich bei seinen beiden Bänden über Dichterleben und Dichterhäuser noch stärker auf die Vita der Hausbesitzer gestürzt und beides andere stärker ausgeblendet. Plachtas Band ist kein touristischer Führer, das verbietet alleine schon sein Format. Hilfreich zur Auffindung der Orte wäre dennoch z. B. eine Deutschland- oder Europakarte mit entsprechenden Vermerken gewesen; sehr beliebt sind gerade auch in neueren Publikationen die Angaben von Längen- und Breitengraden, um das Auffinden der Wohnstätten mit Hilfe von Handy und App vor Ort zu beschleunigen (Schmidt in Bargfeld hat es vorgemacht, vgl. S. 220), wenn sich der Leser von zu Hause aus zu einem Besuch entschließen will; Grundrisse oder Maßangaben zu den Gebäuden sind nicht beigegeben. Manches ist kursorisch geraten: Schreibt Plachta z. B. über Goethe, dieser habe sein Frankfurter Geburtshaus Großer Hirschgraben (heute Nr. 23-25) 1765 verlassen, „um in Leipzig und Straßburg Jura zu studieren“, und sei 1774 noch einmal in das Elternhaus zurückgekehrt, um als Jurist zu arbeiten (S. 63), verschweigt dies seine Aufenthalte August 1771-Mai 1772 und September 1772-Mai 1775. Nur mit diesen fehlenden Angaben machen die zuvor gemachten Bezüge auf die Wichtigkeit des Frankfurter Umfelds bei der Entstehung des Götz von Berlichingen (1773), Die Leiden des jungen Werthers (1774), Clavigo (1774) und Stella (1775) Sinn. Diese Monita sind im Kontext einer abschließenden Würdigung aber nicht ausschlaggebend, diesen Band dennoch mit Nachdruck zu empfehlen, denn:

Bodo Plachta schließt mit seinen Dichterhäusern eine Lücke in der Gesamtdarstellung der Lebensumstände maßgebender Schriftsteller. Was in zahlreichen, verstreuten Einzelbeschreibungen vorgelegen hat, ist durch Plachta zusammengefasst, in ein historisches Umfeld gesetzt, mit den Werken der Autoren kontextualisiert und hervorragend bebildert worden. Der Verlag Theiss steht zudem für eine ansprechende Aufmachung und eine hervorragende technische Umsetzung.