Protestantische Theologie im 20. Jahrhundert

 Ein Blick auf ein wogendes Meer

Ein Buch, das viele Bücher ersetzt. In einer Zeit, wo einerseits das (nicht nur) wissenschaftliche Publizieren immer schwieriger wird, wo aber andererseits trotzdem das Angebot für den einzelnen unüberschaubar ist, füllt diese Darstellung des Hamburger Emeritus eine Lücke; Leser sind dankbar: sie erhalten einen fundierten Überblick über theologische Positionen in einer Zeit, in der die Entwicklung „stürmisch, zum Teil dramatisch“ verlief. Deutlich wird das an der erdrückenden Fülle der Personen und Positionen, die sich im letzten Jahrhundert auseinander und aneinander entwickelten.

„Im Mittelpunkt der Erörterungen steht die theologische Reflexion der im christlichen Glauben ausgesprochenen und beanspruchten Wahrheit, und dieser Klärungsprozeß gehört zu den Hauptaufgaben der Systematischen Theologie.“ Man darf prägnante Darstellungen erwarten, komprimiert, aber immer doch noch ausführlich genug, so daß ein verwendbarer Umgang mit diesem Forschungsbericht, mit dieser Geschichte der protestantischen Theologie, möglich wird. Der Band rekonstruiert problemorientiert den Gang der Systematischen Theologie im letzten Jahrhundert. Man muß nicht in die Bücher selbst sehen, was „angesichts der unerhörten Vermehrung des Wissens und der Ausdifferenzierung der Methoden und Problemstellungen“ unmöglich wurde. Ein Beispiel für solche prägnante Formulierungen: „Inhaltlicher Kern dieser [dialektischen] Theologie ist die Neuentdeckung der Souveränität Gottes. Gott offenbart sich als der ganz Andere, der schlechthin Jenseitige, der souveräne Herr, er verhält sich inkommensurabel zu allem menschlichen Werk. Zwischen Gott und Mensch besteht ein unendlich qualitativer Unterschied“ (in der Formulierung Kierkegaards). Die Gewichtung der einzelnen Autoren (K. Barth, R. Bultmann, E. Brunner, Fr. Gogarten, P. Tillich u.v.a.m.) ist vielleicht nicht immer ganz ausgewogen; es gibt Schwerpunktbildungen, die gewisse Evaluationen des Verfassers ausdrücken. Dafür ist die fast komplette Repräsentanz, wenn nicht aller (universitärer) Theologen, so doch aller Themen und Problemstellungen gewährleistet. Und das ist das, was der interessierte Rezipient erwartet und benötigt.

Das klar verständlich geschriebene Buch ist auch für den Nichttheologen lesbar, für die Porträts ist man dankbar, Bibliographie und Register erleichtern eine vertiefende Weiterarbeit. Der Band schließt mit einem breiten Blick auf die ökumenische Debattenlage am Ende des 20. Jahrhunderts, d.h. konkret auf die sehr verwickelte Diskussion zur Rechtfertigungslehre sowie die Aufgaben und Grenzen, die Perspektiven der Systematischen Theologie „unter den Bedingungen der Neuzeit“: was auch heißt einer globalen Poly- und Multivarianz theologischer Positionen, die unter Beibehaltung ihres genuinen Kerns aufgefordert sind, doch auf eine konsensuale Verständigung zu blicken.