Hans Albert (Jg. 1921) geht mit der altbekannten, breiteren Kreisen auch aus dem sog. Positivismusstreit bekannten Verve an traditionelle Probleme heran; schon Kritias von Athen (~460-403 v.u.Z) war in diesem Thema engagiert. Der Vorsokratiker meint in seinem Drama „Sysiphos“: „da, scheint mir, hat ein schlauer und gedankenkluger Mann die Furcht vor den Götter den Sterblichen erfunden, auf dass ein Schreckmittel sei für die Schlechten, auch wenn sie im Verborgenen etwas täten oder sprächen oder dächten“. In seiner Nachfolge gibt es eine schier unüberschaubare Menge an kritischen Auseinandersetzungen mit religiösen Systemen. Darunter befindet sich etwa auch der römische Dichter Petronius (14-66 n.u.Z): „Primus in orbe Deos fecit timor (die Furcht hat als erste in der Welt die Götter gemacht)“.
Albert behandelt aus der Perspektive des sog. Kritischen Rationalismus viele zentrale Probleme von Theologie und Religion, etwa „Glaube und Wissen: Grenzen der kritischen Methode?“ Für ihn ist klar, dass „ein fundamentaler Unterschied zwischen Glaube und Wissen“ nicht besteht. Damit fällt er selbst in eine dogmatische Position, die seit Kant als überwunden gelten darf.
Der berühmte Platon-Übersetzer und Theologe Schleiermacher hat mit Kant die Religiosität gerettet. Er füllt den Platz, den der Königsberger für den Glauben leer gelassen hatte, transzendental aus. Er behauptet einfach, es gebe eine Apriorität religiöser Kategorien. Für Mathematik, für Logik, für die sinnliche Wahrnehmung gelten bestimmte von Kant beschriebene Anschauungsformen, Kategorien, Postulate. Sie werden bewusstseinsintern als evident erlebt. Der Philosoph Simmel hat im Anschluss an Husserl ähnliche Ideen entfaltet. Für ihn ist der Glaube (für den Gläubigen) eine evidente Gewissheit, freilich mit W. James nur ein Stück, ein Moment im stream of consciousness, im Bewusstseinsstrom. Der Glaube hat dabei als Transzendentales, für das Bewusstsein Notwendiges, den Erlösungswillen als Glücksverlangen, also die Heilserwartung und Gott als Garanten dieses ewigwährenden Glücks. Diese Momente sind für sich selbst so gültig wie mathematische Sätze, die mit dem Prager Denker Bolzano als vor Gott gelten, d.h. auch Gott kann die Logik nicht anders machen. Allerdings ist eine metabasis eis allo genos, ein Herumturnen im anderen Feld, ausgeschlossen: der Gläubige kann, darf nicht sagen, 5 + 5 sei 11. Das wäre Carneval. Jedes System hat seine Wahrheit, wobei die der Theologie oft abstrus anmuten mag. Sie wird dann als mysterium fidei, als Geheimnis des Glaubens, tabuisiert, immunisiert.
Wer zum Glauben befähigt ist, man darf auch sagen: begnadet (nicht begnadigt), mag glauben. Seine Gene und Synapsen drängen ihn dazu. Und er mag glauben, was er will. Er darf an der Transsubstantiation, an der unbefleckten Empfängnis, an der Auferstehung, am leibhaftigen Teufel, an der Hölle und den ewigen Qualen, an allen Dogmen und Glaubensinhalten, auch wenn sie kontrovers bestimmt werden, festhalten. Allerdings steht die Theologie in ihrer Verwirklichung im Handeln unter Kontrolle: Die Prinzipien dieser Aufsicht hat der Königsberger unverbesserbar formuliert in seiner Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793), worin er die Glaubensinhalte für sich gelten lässt und (nur) ihre praktisch-moralische, ethische Dimension untersucht. Dort, wo Religion praktisch wird, unterliegt sie der Macht der Vernunft, in einem Rechtsstaat also dem parlamentarisch-demokratischen Ritual (auch wenn das oft unvernünftige Produkte produziert). Kirchenasyl kann nicht gewährt werden, es widerspricht der geltenden Rechtsordnung. Abtreibung, philosophisch gesehen Tötung werdenden Lebens, ist für den Gläubigen, für den doch das Tötungsverbot des fünften Gebotes des Dekalogs gilt, zu tolerieren, sofern sie nach den geltenden rechtlichen Bedingungen vollzogen wird. Seine Reaktion auf solche parlamentarisch-demokratischen Festlegungen darf keine, etwa gar gewaltbestimmte, Aktion sein. Er darf für die mordenden Sünder beten, für sie um Gnade bitten, das ist seine genuine Antwort. Er darf Demos machen, soweit er die genehmigen lässt und für deren ordnungsgemäße Durchführung sorgt und garantiert. Er darf auf dem öffentlichen Platz aller Meinungen seine Position argumentativ vertreten und um Unterstützer werben.
Kant fasste seine Überlegungen mit der Formulierung zusammen, man müsse in der Metaphysik „das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu haben“. Man kann mit den Mitteln des Verstandes, mit der Position des kritischen Rationalismus nicht die Glaubensinhalte kritisieren. Das ist, als rede ein Blinder über Malerei oder über Musik ein Tauber.
Auch Husserl etwa hat diese, mal kompliziert formuliert, Ontologie des Transzendentalen beschrieben. Es gibt verschiedene, teils inkompatible „Noesen“ (Aktivitäten der Vernunft: denken, fühlen, hoffen, sehen, hören etc.) Schon Herder und der junge Goethe hatten diese Struktur der Vernunft erkannt. Herder beschreibt Denken und Empfinden als gleichstarke mentale Fähigkeiten und Goethe spricht über die vielfältigen „Fühlhörner“, mit denen der Mensch ins Universum taste.
Überhaupt hat die Dichtung schon immer für diese Wahrnehmungs- oder Empfindungsweise plädiert. JeanP aul, dieses „Verhängnis im Schlafrock“, wie Nietzsche ihn nennt, kennt die Mönche in Mexiko, deren „verfeinertes Gefühl ihnen die Aufspürung der Wahrheit in dunkeln Orten erleichtert, so wie die Schnecken ihr geistiges Auge in ihren Fühlhörnern“ haben; er weiß, dass „nicht alle mögliche Nasen [...] der Himmel so geformt hat, daß sie […] richtige Fühlhörner […] des Atheismus abgäben“. Also im Klartext: Es gibt genetische (Himmel) Gläubige.
Ebenfalls dogmatisch ist Alberts Position als Atheist; an Gott nicht zu glauben, ist Glaube. Albert lehnt etwas ab (glauben, Glaube), was er selbst doch benötigt (Glaube). Er ist ein lügender Kreter. Rational ist eine Existenz Gottes weder zu widerlegen noch zu verifizieren. Hans Albert sagt das selbst ganz am Ende seines Pamphlets, auf der letzten Seite: „Ich selbst bin Atheist, aber natürlich keineswegs deshalb, weil ich bewiesen hätte, dass es keinen Gott gibt. Es kann weder einen Beweis für die Existenz Gottes geben noch einen Beweis dafür, dass es keinen Gott gibt.“
Wenn es so ist – strukturell also wie bei Buridans Esel, der bekanntlich zwischen zwei gleich großen Heuhaufen genau in der Mitte stehend verhungert, weil er sich nicht als Dezisionist will beschimpfen lassen – wenn es so ist, dann ist die allein richtige Antwort die von den antiken Skeptikern favorisierte epoche, die Urteilsenthaltung. Goethe hatte das etwas altmodisch-poetisch formuliert, als er meinte, man solle das Unerforschliche ruhig verehren.
Der Gläubige, indem er mit Kierkegaard in den Glauben springt, kann – und das muss ihm niemand rauben wollen – an seinen Gott glauben, ihn verehren, anbeten (solange bis der Verehrte Kopfweh bekommt). Dass dieser Sprung ein Dezionismus ist, der von vielen Philosophen als illegitim verteufelt wird, bleibt kollateral, weil durch ihn doch Gott gefunden wird.
Auch das theologisch-philosophisch viel diskutierte Problem der Theodizee kann Albert aus seiner dogmatischen Position heraus nicht behandeln. Sehr klug und mit spitzem Griffel merkt er an, dass Joseph Ratzinger in seinen Schriften dieser Fragestellung ausweicht: wie ist das Elend in der Welt zu verstehen, wenn es einen allgütigen Gott gibt? Die Antworten von Leibniz muss man gar nicht kennen (das malum physicum, das malum morale), um die theologische Position zu verstehen; Ratzinger und viele weitere katholische und evangelische Theologen müssen auf dieses Problem gar nicht eingehen. Die Bibel löst es selbst auf in den letzten Sätzen des Buches Hiob. Hiob, der von Gott maßlos heimgesucht wurde, im größten Elend steckte, erhält alles Verlorene vielfältig zurück:
„Und der Herr wendete das Geschick Hiobs, als der für seine Freunde Fürbitte tat. Und der Herr vermehrte alles, was Hiob gehabt hatte, auf das Doppelte. Da kamen zu ihm all seine Brüder und all seine Schwestern und alle, die ihn früher gekannt hatten. Und sie aßen mit ihm Brot in seinem Haus, und sie bekundeten ihm ihre Teilnahme und trösteten ihn wegen all des Unglücks, das der Herr über ihn gebracht hatte. Und sie gaben ihm jeder eine Kesita (Silbergeld) und jeder einen goldenen Ring. Und der Herr segnete das Ende Hiobs mehr als seinen Anfang. Und er bekam vierzehntausend Schafe und sechstausend Kamele und tausend Gespanne Rinder und tausend Eselinnen. Und es wurden ihm sieben Söhne und drei Töchter geboren. […] Und so schöne Frauen wie die Töchter Hiobs fand man im ganzen Land nicht. Und ihr Vater gab ihnen ein Erbteil mitten unter ihren Brüdern. Und Hiob lebte nach diesen schlimmen Ereignissen noch 140 Jahre. Und er sah seine Kinder und seine Kindeskinder, vier Generationen. Und Hiob starb, alt und des Lebens satt.“
Der wirklich Gläubige – und Ratzinger gehört wohl zu dieser Formation –, hat kein Theodizee-Problem. Der Gläubige glaubt an die Kompensation des Leids und Elends durch das ewige Leben im Paradies, möglichst mit Huris und Wein, wie es bekanntlich der Prophet seinen Söhnen verspricht (was mit den Töchtern geschieht, steht nicht im Koran).
Die natur- und menschengemachten Katastrophen – Tsunamis, Kriege – werden durch das Konstrukt vom unerforschlichen Willen Gottes abgedeckt; das gilt den Gläubigen als gewisses Dogma.
Man darf hier Loriot erinnern: ein Leben ohne einen Mops (Gott) ist möglich, aber es ist sinnlos. Ein Leben ohne Gott findet, wie die französischen Moralisten wussten, in der Kälte statt. Deshalb haben die deutschen Dichter und Denker der Klassik (Lessing, Kant, Goethe, Hegel) an Gott und an der Unsterblichkeit der Seele als Postulate der Vernunft festgehalten. Sie haben aber jede konkrete Ausschmückung verweigert. Diese Postulate sind wörtlich Forderungen, Erwartungen, Hoffnungen. Sie haben aber keine seinsbildende Kraft.
Indes also: Das theologische Denken kann außerhalb seines Systems keine Geltung verlangen. Der Kritische Rationalismus sollte im Gegenzug bereit sein zu lernen, dass er nicht das alleinige „Fühlhorn“ ist, mit dem der Mensch mit seiner Software Welt erfasst. Der Kritische Rationalismus darf die Heiligen Schriften der monotheistischen, orientalischen Religionen als Märchen aus dem Morgenland begreifen; er muss aber den Gläubigen ihr Recht lassen, sie als Gotteswort in Menschenmund zu erleben; das muss er anerkennen. Goethe formuliert unverbesserbar im „Divan“: es gehe um „Himmelslehr‘ in Erdesprachen“.
Die Annahme des rationalen Denkens, das Seiende sei aus sich selbst, autopoietisch entstanden, aus wie Darwin formulierte „some warm ponds“, ist genauso wahrscheinlich, wie die gläubige These vom Schöpfergott (eine Glaubenswahrheit). Beide Positionen brechen das, was unsere Software fordert – unsere transzendentale Ausstattung –, nämlich die Frage nach der Ursache , ab. Die Rationalisten beim big bang; sie haben keine Antwort auf die alte Frage, warum Sein und Seiendes ist und nicht vielmehr Nichts? Der Gläubige stellt die Nachfrage nach dem zureichenden Grund bei Gott ein. Er ist für ihn nicht mehr weiter kausal ableitbar. Er war schon immer, ist, und wird ewiglich sein. Basta.
Nur durch Fortschritte in der Erforschung der Physiologie des Gehirns kann eine Auflösung dieser antithetischen Positionen erhofft werden. Vorläufig müssen wir wie die Physik mit unverstandenen Problemfeldern leben. Die dunkle Materie, die dunkle Energie der Astrophsyik sind heute noch so, wie der deus absconditus schon immer war.
Zwischen den Positionen gilt als globaler Leitwert wechselseitiger Respekt, Anerkennung, Achtung. Bei all dem darf der Kritische Rationalist sich klammheimlich eins ins Fäustchen lachen: denn er sieht, wie die Theologie in Widersprüchen, in Zänkereien heillos – obwohl sie doch das Heil verheißt – versinkt. Es gelingt den Gläubigen und ihrer theoretischen Lobby, der Theologie, nicht, das geoffenbarte Gotteswort eindeutig zu interpretieren.
Der Alibri Verlag (gegründet 1994) „steht in einer Tradition kritischer, diesseitsorientierter Aufklärung, die auf die Emanzipation des Menschen abzielt. Die Kritik von Religion und Esoterik ist einer unserer Schwerpunkte, die Diskussion säkularer Perspektiven ein anderer.“ Das ist lobenswert und für solche Menschen, die gerade eigenständig zu denken beginnen, die dabei sind, ihren Verstand autonom zu gebrauchen, ist das Buch von Hans Albert sehr nützlich und kann mit großem Gewinn gelesen werden.