Holocaust und Fotografie
Die Bedeutung fotografischer Bilder als Geschichtsquellen wie für die Sinnbildungsprozesse moderner Gesellschaften wird mittlerweile auch in Historikerkreisen immer mehr zur Kenntnis genommen. Jedoch ist immer noch eine tiefe Skepsis gegenüber der Vieldeutigkeit, Undefinierbarkeit und emotionalisierenden Kraft von Bildern anzutreffen. Der Umgang mit historischen Bilddokumenten ist jedenfalls mit besonderen methodischen Problemen verbunden, eine Tatsache, die erst kürzlich wieder im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die vom Hamburger Institut für Sozialforschung organisierten Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 deutlich wurde.
Nachdem bis in die 90er Jahre dem Anteil von Bildmedien an der symbolischen Ordnung des Erinnerns kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde, liegen mittlerweile eine ganze Reihe wichtiger Studien zum Themenkomplex „Holocaust und Fotografie“ vor. Dazu gehört u. a. das 1998 erschienene Buch Ikonen der Vernichtung von Cornelia Brink, in dem sich die Autorin mit der Funktion von NS-Fotografien für die Vergangenheitsbewältigung befaßt. Jüngst ist nun mit Habbo Knochs Die Tat als Bild eine weitere, ohne Zweifel schon jetzt zu den Standartwerken zu zählende Untersuchung vorgelegt worden.
Knoch unternimmt aber keine historische Bildanalyse des fotografischen Bildbestandes. Vielmehr möchte er an Hand der Gebrauchsweisen und Deutungen der Bilddokumente „erinnerungskulturelle Ablagerungen von gesellschaftlichen Umgangsformen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus ablesen“. Anders ausgedrückt richtet sich sein Interesse darauf, wie sich aus den visuellen Überlieferungen schließlich „Bildhaushalte“ herausbildeten, die Auschwitz und den Holocaust mit bestimmten Deutungen versahen und ins Zentrum der westdeutschen Erinnerungskultur rückten, dagegen andere Verbrechen visuell und historisch ausgeblendet wurden. Bei seinem Versuch, die Bedeutung der Fotografien vom Holocaust in der (west-)deutschen Erinnerungskultur zu analysieren, konnte Knoch – bezogen auf den Untersuchungszeitraum der 30er bis 60er Jahre des 20. Jahrhundert – folgende Phasen unterscheiden:
Die Nationalsozialisten inszenierten in ihren Zeitungs- und Illustriertenberichten über die Konzentrationslager, antijüdische Aktionen und Ghettos ein Bild, das Gerüchten über Willkür und Gewalt den visuellen Beweis einer geordneten und modernen Herrschaftspraxis entgegenstellen sollte. Die Bildsprache der Täter war verschleiernd, die reale Gewalt sollte außen vor bleiben. Entlarvende Bilder, wie sie seit 1933 etwa in der Exilliteratur präsentiert wurden, erreichten die deutsche Bevölkerung nicht.
Nach Kriegsende im Mai 1945 konfrontierten die Alliierten die Deutschen mit Aufnahmen aus den befreiten Konzentrationslagern, Bilder von Leichenbergen und abgemagerten Überlebenden am Rande des Todes zeigend. Auf diese Bilddokumente, die das deutsche Volk in die Nähe der NS-Verbrechen rückte, reagierte die Öffentlichkeit mit Unglauben und Ablehnung. Mit dem Ende der alliierten Bildkampagne nach nur wenigen Wochen begann eine Zeit der weitgehenden visuellen Leere hinsichtlich der NS-Verbrechen. Gegen solcherart „Zumutungen der Nähe zur Tat“ entwickelte sich nach Knoch in der frühen BRD ein ikonographischer Erinnerungsraum, in dem sich die überwiegende Mehrheit der Deutschen als doppelte Opfergemeinschaft etablierte: als Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges. Unzählige Bilder von Kriegsepisoden oder von Verbrechen der Alliierten (z.B. die Bombardierung Dresdens) wurden „gegen die visuell untermauerte Vorwürfe einer kollektiven Schuld ins öffentliche Feld geführt.“ Der einfache Landser wurde zur Ikone des vermeintlich sauber geführten Krieges.
Nachdem bereits Teilöffentlichkeiten wie das antifaschistische und jüdische Milieu die Verbrechen früher visualisiert haben, ist dann ab Mitte der 50er Jahre eine Rückkehr der Schreckensbilder in die westdeutsche Öffentlichkeit festzustellen. In zahlreichen Bildpublikationen, Zeitungen, Schulbüchern und Ausstellungen wurde ihnen nun wieder mehr Raum gegeben. Die Fotografien wurden nicht mehr als Anklage wahrgenommen, sondern als Medium der Aufklärung verstanden. So konnte der „Bildhaushalt als visuelles Gedächtnis der Tat“ entstehen. Ob man Knoch in der Einschätzung folgen möchte, daß die Fotografien sogar das Leitmedium der Aufklärung und der Erinnerung an die NS-Vergangenheit wurden, mag dahin gestellt bleiben – jedenfalls scheint hier die Bedeutung des Mediums Fotografie etwas überbetont. Auch der seiner Untersuchung zu Grunde liegende Ansatz, daß sich die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen an den jeweiligen visuellen Repräsentationen ablesen lässt, wäre an der einen oder anderen Stelle zu differenzieren. Die Auswahl bestimmter Bilddokumente in (Schul-)Büchern oder Zeitschriften ist in vielen Fällen wohl eher mit den gerade verfügbaren Fotobeständen in verlagseigenen und sonstigen Archiven zu erklären, als daß damit die Veränderung kollektiver Bildhaushalte belegt werden kann.
Mit seiner bei der renommierten Hamburger Edition herausgekommenen materialreichen Arbeit darf Habbo Knoch für sich in Anspruch nehmen, wesentlich dazu beizutragen, die Fotografie als ernstzunehmende Quellengruppe in der Geschichtswissenschaft zu etablieren und sie endgültig aus ihrer Randständigkeit herauszuholen.