Der merkantile Wert toter Prominenz
Muß aus Gründen der Rechtssicherheit der Zeitpunkt des Verlusts menschlicher Rechtsfähigkeit auch exakt fixiert werden können - seit dem berühmten Mephisto-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts darf es als common sense gelten, daß (jedenfalls oder auch) in juristischer Hinsicht keineswegs mit dem Tode „alles vorbei“ ist, da der von Art. 1 Abs. 1 GG postulierte Schutz der Menschenwürde sehr wohl die Anerkennung eines Persönlichkeitsrechts bereits Verstorbener erheischt. Dogmatische Differenzen bestehen freilich angesichts der Weichenstellerfrage, ob man nun eine unmittelbare postmortale Grundrechtsgeltung für gegeben erachtet, also den Verstorbenen selbst als teilrechtsfähig ansieht, oder vielmehr von einer aus der Menschenwürde resultierenden Pflicht der Lebenden zur Beachtung bestimmter Pietätsvorstellungen ausgeht; doch mögen diese dahinstehen, soweit wir mit der bislang noch den Normalfall im Bereich der Fortwirkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bildenden Situation konfrontiert sind: der Abwehr von Eingriffen in Integrität und Würde, namentlich in der Form von Schmähkritik am Toten. Indes ist auch die entgegengesetzte Konstellation denkbar – und wird zunehmend Realität –, nämlich das (nur allzu) willige Aufgreifen des Nimbus’ einer verstorbenen Berühmtheit und der regelmäßig erfolgreiche Versuch, denselben in klingende Münze umzusetzen, da Name, Konterfei oder andere Persönlichkeitsmerkmale nicht nur lebender Prominenz sich hervorragend eignen, um auf ein bestimmtes Produkt aufmerksam zu machen oder diesem ein gewisses Image zu verleihen. Daß die Vermarktung von Persönlichkeitsattributen in unserer Konsum-, Informations- und Mediengesellschaft mittlerweile einen bedeutenden Aspekt des Wirtschaftslebens ausmacht, erscheint vor diesem Hintergrund nur folgerichtig. Wo jedoch liegen, gerade im Hinblick auf Verstorbene, die Grenzen des rechtlich Zulässigen, und wie läßt sich – da sich der Tote doch nicht selbst zur Wehr setzen kann – deren Respektierung gewährleisten?
Mit seiner in die Schriftenreihe des Instituts für Technik- und Umweltrecht der TU Dresden aufgenommen Dissertation greift Lambert Schulze Wessel daher eine ebenso rechtsdogmatisch schwierige wie rechtspolitisch aktuelle Fragestellung auf. Ausgehend von dem bereits als „bahnbrechend“, ja „epochal“ bezeichneten Marlene Dietrich-Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1999 – als dessen Kernaussagen zum einen die Anerkennung des postmortalen Schutzes vermögenswerter Persönlichkeitsrechte, zum anderen die Vererblichkeit von Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts, wie dem Recht am eigenen Bild, herauszustellen sind – und der parallelen Blauer Engel-Entscheidung will Schulze Wessel eine Konzeption für die Ausgestaltung des „wirtschaftlichen Persönlichkeitsschutzes“ nach dem Tod entwickeln, die vom Lösungsansatz des Bundesgerichtshofes in wesentlichen Teilen abweicht. Das wäre auch in der Tat wünschenswert gewesen, da die höchstrichterliche Judikatur manche Probleme aufwirft, wie z. B. die Frage, warum Abwehransprüche, anders als im Fall der Verletzung „bloß“ ideeller Interessen, keinen ausreichenden Schutz bieten oder inwieweit Erben an den Willen des Verstorbenen gebunden sein sollen. Gerade hier herrscht indes weiter Unklarheit. Seinem eigenen Originalitätsanspruch, soviel sei gleich gesagt, vermag der Verfasser nur bedingt gerecht zu werden.
Zum Teil liegt es wohl bereits in dem für eine rechtswissenschaftliche Dissertation vergleichsweise knappen Umfang der Arbeit begründet, daß sie sich im Wesentlichen auf die Referierung der Entwicklung von Rechtsprechung und Schrifttumsmeinungen beschränkt. Dies immerhin geschieht in durchaus ansprechender Weise und kann für jeden mit derartigen Fällen Befaßten wertvoll sein. Nur, wer findet im hektischen Getriebe des juristischen Alltagsgeschäfts schon die Muße, eine Monographie von A–Z zu lesen? Das aber ist hier unumgänglich, da Schulze Wessel auf ein Sachregister entgegen allen heutigen Gepflogenheiten ebenso gänzlich verzichtet wie auf eine klare, dezidierte Zusammenfassung in Thesen und so die Chance vergibt, die Früchte seiner Sammeltätigkeit als Nachschlagewerk praxistauglich zu gestalten.
Schulze Wessel gliedert die Abhandlung in fünf Hauptabschnitte (Kapitel 2-6), denen ein mit „Grundlagen des Persönlichkeitsschutzes nach dem Tod“ betitelter Einführungsteil vorangestellt ist (Kapitel 1, S. 15-34). Bereits hier vermißt der Leser eine Rückkoppelung an die Grundrechtsdogmatik, ohne welche die ihm versprochene Fundierung des Gesamtthemas nicht möglich ist, und deren „Aufsparung“ für den Anfang des dritten Kapitels (S. 41-48) wenig glücklich scheint. In diesem Zusammenhang schließt sich der Autor übrigens dem eingangs erwähnten Standpunkt an, wonach es sich bei dem Problemkreis der postmortalen Persönlichkeitsrechte stets um Rechte bzw. Pflichten Lebender handelt und eine partielle Rechtsfähigkeit der Verstorbenen ausscheidet. Das darauf folgende Kapitel befaßt sich am Beispiel Marlene Dietrichs mit der Frage, inwieweit die Persönlichkeitsmerkmale Verstorbener kommerziell (aus)genutzt werden dürfen (S. 69-97), bevor der Autor die Grenzen der nach dem Tod fortwirkenden Persönlichkeitsrechte – und die daraus resultierenden Ansprüche – in den Blick nimmt. An dieser Stelle nimmt Schulze Wessel nun tatsächlich einen Standpunkt ein, der sich wesentlich von dem des Bundesgerichtshofes unterscheidet: Er zieht sich auf den Erkenntnisstand der Mephisto-Entscheidungen zurück, die nur grob ehrverletzende Entstellungen des Lebensbildes Verstorbener für unzulässig erachten (S. 98, 100), was es – zweifellos konsequent – unmöglich macht, zwischen den „klassischen“ ideellen und den aktuell-kommerziellen Aspekten des Persönlichkeitsschutzes zu differenzieren. Ob hinsichtlich des Letztgenannten nicht aber andere Maßstäbe gelten müssen: das gerade macht doch das radikal Neue am Marlene Dietrich-Urteil aus und hätte eine vertiefte, kritische Auseinandersetzung verdient. Ebenso zu kurz kommt eine Klärung der sich aufdrängenden Frage, ob die wirtschaftlichen Seiten des postmortalen Persönlichkeitsschutzes und dabei insbesondere ihre Umlauffähigkeit einer gesetzlichen Regelung bedürfen oder ob es ausreicht, bestehende Lücken durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen.
Positiv hervorzuheben sind auf der anderen Seite zwei mit der Vererblichkeit vermögenswerter Bestandteile von Persönlichkeitsrechten im Zusammenhang stehende Gesichtspunkte, zum einen die die Interessen von Unternehmen der Webe- und Merchandisingbranche berücksichtigenden Vorschläge des Verf. auf vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten (S. 121-126), zum anderen sein Plädoyer, einer „Vererbung“ jener vorgenannten Bestandteile gemäß § 1922 BGB einer Sonderrechtsnachfolge analog § 22 Satz 3 Kunsturhebergesetz den Vorzug einzuräumen (S. 134-143, 145).
Was bleibt? Leider ein zwiespältiger Gesamteindruck.