Nicht deshalb, weil sich meine Wörter werfen wie Hände, die man ringt, nach Rettung,
nicht deshalb, weil sie sich wie Zähne schärfen
an einem Leib der Finsternis, nach Sättigung,
bläst du die Kohlen meines Zornes an zum Glimmen,
geschriebnes Wort, du Stellvertreter meiner Welt,
nein, deshalb nur, weil deine Klänge schimmern,
wie verbrannte Perlen,
nachdem ein Scheiterhaufen ausgelodert ist und kalt,
und keiner mehr, auch ich nicht, den die Zeit zerrieben,
die Frau erkennt, in einem Flammenmeer gewaschen,
für die von allen Freuden sind geblieben
nur grau-verbrannte Perlen in der Asche ... (Campus, S. 125)
Abraham (Avrom) Sutzkever schrieb das Gedicht 'Verbrannte Perlen' am 28. Juli 1943 im Wilnaer Getto. Gerüchte über das mögliche Ende des Gettos bestimmten zu dieser Zeit die Stimmung. Tatsächlich waren es die letzten Wochen - im September deportierten oder ermordeten die Deutschen die noch verbliebenen Bewohner. Avrom Sutzkever glaubte an die Kraft der Poesie, kämpfte mit den Worten und ließ seine Worte kämpfen. Er schrieb vor und während der Shoah ' unter den widrigsten Umständen, im Getto, im Versteck, als Partisan im Wald, war 1946 Zeuge bei den Nürnberger Prozessen, und er schrieb nach seiner Emigration 1947 nach Israel, wo er auch das jiddische Literaturmagazin 'Di goldene keyt' (Die goldene Kette) herausgab. Der große Dichter der jiddischen Sprache und des 20. Jahrhunderts starb am 20. Januar 2010 im Alter von 96 Jahren in Tel Aviv und hinterlässt ein umfangreiches Lyrik- und Prosawerk.
Nach über 60 Jahren präsentieren gleich drei Publikationen einen Querschnitt seines Werks in deutscher Übersetzung: Im Ammann Verlag, Zürich 2009, erschienen Avrom Sutzkevers Erinnerungen an das Getto (Wilner Getto 1941-1944) und eine Sammlung von Gedichten (Gesänge vom Meer des Todes ' beide übersetzt von Hubert Witt). Eine weitere Gedichtsammlung (Geh über Wörter wie über ein Minenfeld ' übersetzt von Peter Comans) veröffentlichte der Campus Verlag, Frankfurt, New York 2009. Dieser Band gibt einen anregenden Einblick in alle Schaffensphasen Avrom Sutzkevers und die Einleitung von Heather Valencia einen Überblick über sein Leben und seine Dichtung.
Avrom Sutzkever wurde 1913 in Smorgon (heute Weißrussland), südöstlich von Wilna (Vilnius) geboren. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ' die zaristischen Behörden verdächtigten Juden als Spione der Deutschen ' floh die Familie nach Sibirien. 1920, nach dem Tod des Vaters, kehrte die Mutter mit drei Kindern nach Wilna zurück. Hier besuchte Avrom Sutzkever die Talmud-Torah-Schule, dann ein polnisch-jüdisches Gymnasium und schloss sich der Künstlergruppe Jung Vilne (Junges Wilna) an. Nicht sofort erkannten die Mitglieder der Gruppe die Kraft seiner Lyrik: Seine ausdrucksstarke Naturlyrik und Nähe zu den Inzikhisten (Introspektivisten) in den USA unterschieden sein Schreiben von dem der sozial engagierten Literaten. 1937 erschien in Warschau sein erster Gedichtband. 1941 überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion, im September trieben sie die jüdische Bevölkerung Wilnas in zwei Gettos, Ende des Jahres 1941 hatten sie und ihre litauischen Kollaborateure zwei Drittel von ihr ermordet. Der Krieg und die Shoah veränderten Avrom Sutzkevers Dichtung und prägten seine Prosa, ohne dass sie ihre frühen Wurzeln verloren.
Die Erinnerungen Avrom Sutzkevers an das Getto in Wilna, die er im Sommer 1944 in Moskau schrieb, lesen sich in weiten Teilen wie ein Tagebuch, das die Ungewissheit des Geschehens und die Vehemenz der unmittelbaren Gewalt in Worte fasst. Sie beginnen mit dem Tag der deutschen Invasion im Juni 1941: aus dem Radio springt ihm 'wie ein Knäuel Eidechsen ... ein hysterisches Geschrei in deutscher Sprache' entgegen. (S. 9) Avrom Sutzkever wirft Schlaglichter auf den grauenvollen Alltag nach dem Einmarsch der Deutschen und im Getto und rekonstruiert Details: Demütigungen durch deutsche Täter, die Verzweiflung im Getto, Zwangsarbeit und Massenmord, er erinnert sich an den Tod der Mutter, des eigenen Kindes. Er lässt Zeitzeugen zu Wort kommen, wie Solomon Garbel, einen Gettopolizisten, der im Auftrag der Untergrundorganisation FPO zum Massengrab nach Ponar fuhr (S. 88), oder Selde Ejnhorn, der die Flucht von dort gelang (S. 92).
Doch Avrom Sutzkever beschreibt auch die vielfältigen Aktivitäten im Getto, die dem Tod zu trotzen und das Überleben zu ermöglichen suchten: kulturelle, pädagogische und soziale Initiativen (S. 96ff.). Er war befreundet mit Lehrern der Gettoschulen, beteiligt an der Gründung des Gettotheaters und Mitglied der künstlerischen Vereinigung. Gemeinsam mit einigen Mitgliedern der Gruppe Yung Vilne hatte er als Zwangsarbeiter im Auftrag des Reichsstabs Einsatzleiter Rosenberg jüdische Kultur- und Ritualgegenstände für den Abtransport nach Deutschland vorzubereiten. Die Gruppe nutzte die Situation zur Sabotage und schmuggelte die Schätze in das Getto. Diese Rettung ist Gegenstand des Gedichts 'Weizenkörner'. In der ersten Strophe artikuliert Avrom Sutzkever seine Liebe zur jüdischen Kultur:
Als hätte ich ein kleines Kind zu schützen,
laufe ich mit dem jiddischen Wort,
stöbere in jedem Innenhof,
den Geist vor dem Mord zu bewahren ... (Campus, S. 37)
Vor der Liquidierung des Gettos flüchtete Avrom Sutzkever gemeinsam mit der letzten Gruppe der bewaffneten Untergrundorganisation, deren Mitglied er war und über deren Kämpfe er berichtet (S. 159ff.), aus dem Getto zu den Partisanen. Die Erinnerungen enden in der Zeit der Befreiung (S. 219ff.), wie den Berichten von Überlebenden der letzten Vernichtungswellen oder des Sonderkommandos in Ponar, die die Spuren der deutschen Gräueltaten zu tilgen und die Leichen aus den Massengräbern zu verbrennen hatten. Durch eine spektakuläre Flucht gelang es einigen zu entkommen und das Gesehene und Erlebte zu erzählen.
Der Übersetzung der Erinnerungen liegt die unzensierte, in Paris 1946 erschienene jiddische Publikation zugrunde. Avrom Sutzkever gibt vielen der im Getto Eingesperrten ein Gesicht und ihren Namen. Es ist schade, dass die Möglichkeit nicht genutzt wurde, diese durch biografische Kommentare oder eine historische Kontextualisierung zu ergänzen. Die eindrucksvolle Erzählung jedoch lässt uns Blicke werfen auf die Gräuel am Rand des Abgrunds und den Kampf gegen die ständig drohende Vernichtung. In der objektivierenden Direktheit seiner Beschreibung des Gettoalltags lässt Avrom Sutzkever das Grauen umso stärker hervortreten. Es ist die Wirklichkeit, in der seine Lyrik entsteht, in der er, fast wie jenseits der Zeit, um den Willen zum Leben ringt. Diese einzigartigen Zeugnisse würdigen den Schriftsteller und Dichter Avrom Sutzkever als ein Symbol des kulturellen Widerstands, wie Hubert Witt in seiner Einleitung zu den Erinnerungen bekräftigt.