Das Kunstwerk und die Erinnerung
Dem Vergangenen im Bild eine Präsenz geben

Eine Schwarzweißfotografie, eine Synagoge, hohes Gewölbe, die Perspektive in die Tiefe des Raums gerichtet, auf die Bimah. Licht erleuchtet das untere Drittel des Bildes, reflektiert sich jedoch nicht an Bänken für Betende, sondern im Wasser, an den Kacheln eines Schwimmbassins. Ein einzelner Schwimmer zieht eine Spur nach Osten.
Am Anfang der Studie 'Das Kunstwerk und die Erinnerung. Dem Vergangenen im Bild eine Präsenz geben' steht ein Bild aus der sechsminütigen Videoinstallation '1942 (Poznan)' des Künstlers Uriel Orlow. Die Installation inspirierte Eric Jacobson, Lehrender für Theologie und Jüdische Studien an der Universität Roehampton, zur philosophischen Auseinandersetzung mit Problemen der Darstellung nach der Shoah. Ausgangspunkt sind zwei in der Moderne relativ neue Aspekte, die Präsenz und die Leere ' An- und Abwesenheit.

In Auschwitz veränderten die Nationalsozialisten die Idee der Arbeit: Ziel war die Produktion der Leere. Diese ist heute durch eine der Präsenz ersetzt. Der Bereich der Arbeit ist in den der Freizeit eingedrungen. Gelebte Erfahrung und Zeit des Menschen sind in immer kleinere bedeutungslose Fragmente gespalten. Die Produktion der Präsenz zeigt sich als eine der Leere, der Entkörperlichung von Erfahrung und der Entweihung der Präsenz. In diesem Spannungsfeld steht auch der schöpferische Prozess.

Erfahrung und Entweihung der Präsenz sind auch zentrale Themen der Theologie. Nach katastrophalen Einbrüchen in der jüdischen Geschichte entwickelten Theologen und Philosophen, wie im 15. Jahrhundert Isaac Luria, neue Glaubenstheorien und hielten an der Idee der Einzigartigkeit Gottes fest. 'Wie in jenen Zeiten wurde auch uns im Schutt der Zivilisation ein neuer Glaube näher gebracht, eine politische Theologie, welche die Politik der Erinnerung an die Stelle einer Entweihung der Gegenwart setzt. Diese Theologie blickt auf eine heilige Welt, die sich in der Asche von Auschwitz verwandelte.' (10) Die neue Theologie entsage sich weitgehend spekulativen Gedanken über das Heilige.

Jacobson untersucht den Begriff der Einzigartigkeit, der zuvor immer der Sphäre des Heiligen vorbehalten war, im philosophischen und theologischen Kontext. Während in der neuen Theologie die Vorstellung von Gott schwach und mannigfaltig geworden sei, wurde Auschwitz zum Gegenstand der Einzigartigkeit. Er fragt, ob diese Adaption nicht eine endgültige Umsetzung der totalitären Intention der Nationalsozialisten, ihre auf Unsterblichkeit zielenden Hegemonieansprüche und alle diese bedrohenden Spuren, und vor allem den jüdischen Gott, auszulöschen, bedeute. Und er hinterfragt, was es vor dem Hintergrund der heutigen Genozidforschung bedeute, den Holocaust als singulär zu bezeichnen: als eine Ausnahme, als außerordentlich oder sui generis? 'Jede Ausnahme ist Ausnahme einer supponierten Regel, jede Singularität dagegen ist ihre eigene Regel.' (43) Doch Auschwitz ist historisch, die Produktion der Leere begrenzt in Zeit und Raum. 'Nur eines ist sicher: Die Singularität von Auschwitz und die Einzigartigkeit Gottes können nicht gleichrangig miteinander koexistieren.' (ebd.)

Angesichts der Abwesenheit der Theologie, die sich nicht mehr um die Wiederherstellung einer Heiligkeit des Lebens sorgt, sieht Jacobson, rekurrierend auf Walter Benjamins Konzeption des 'Hier und Jetzt des Kunstwerks', das Kunstwerk als historischen Mittler, dessen Wesen und Aufgabe die Erhaltung und Verwahrung der Geschichte ist. Es kann in der Darstellung im Jetzt die Abwesenheit wahrnehmbar machen und die dem Objekt innewohnende Geschichte sichtbar zusammenfassen.

1942 schändeten die Nationalsozialisten die Synagoge in Poznan und errichteten dort ein Schwimmbad, das bis heute existiert. Uriel Orlow stellt in seiner Installation das, was entleert wurde, wieder her und macht das zerstörte Vergangene wahrnehmbar. 'Das Werk, das uns sein Hier und Jetzt als präsent und sich gleichzeitig der Abwesenheit als Folge der Zerstörung bewusst zeigt, erlaubt es, zumindest in jenen kurzen Momenten, in denen wir dies wahrnehmen, uns die Instandsetzung und die Unversehrtheit der Welt vorzustellen.' (22)

Eric Jacobson liefert mit seiner konzentrierten Studie einen unbedingt lesenswerten Beitrag zu einer wichtigen Debatte.