Hexenprozesse an der Ludoviciana
Die Spruchpraxis der juristischen Fakultät Gießen in Hexensachen (1612-1723). Studia Giessensia, Neue Folge, Band 4

Die ungebrochene Faszination an Hexenprozessen bringt seit Jahrzehnten Publikationen hervor, die sich dieser Thematik unter verschiedenen Fragestellungen nähern. Ein jüngeres Werk ist die Arbeit von Gesine Hauer, die ihr Ziel, „die Darstellung und Aufarbeitung der Spruchpraxis an der Gießener Juristenfakultät in Hexensachen“ (S. 2), einbettet in eine umfangreiche Erläuterung der Entstehungsgeschichte der Universität Gießen mit besonderem Augenmerk auf die Juristische Fakultät, ihren Lehrkörper und ihre Arbeitsweise. Zur Einleitung des Themas legt die Autorin die Institution der Aktenversendung, welche die an der Universität stattfindende Lehre und Forschung mit der praktischen Arbeit der Gerichte verbindet, dar. Die sich hieraus ergebende Spruchpraxis hatte einen hohen Stellenwert, da sie von Anbeginn der 1607 gegründeten Universität an einen Großteil der fakultätsjuristischen Arbeit ausmachte. Zudem boten die Anfragen der Aktenversendung den Fakultätsmitgliedern nicht nur Zusatzverdienste, sondern bestimmten den Ruf einer Universität mit. Über die ‚Hexensachen‘ die ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten, lässt sich für Gießen in gewissem Umfang die frühe Fakultätsarbeit aufzeigen.

Der Leser erhält zu Beginn zusätzlich eine Einführung in die Grundlagen der Entwicklung des frühneuzeitlichen Strafprozesses und der hier zu findenden Definitionen der zu den Hexenprozessen gehörigen Anklagepunkten wie ‚Schadenzauber‘, ‚Teufelsbuhlschaft‘ und ‚Hexentanz‘. Eine Erläuterung zu dem formalen Aufbau der ergangenen Sprüche rundet diesen Teil der Arbeit ab.

Im Folgenden untersucht die Autorin - ausgehend vom überlieferten Quellenmaterial der Spruchpraxis der Fakultät in Hexensachen - die Frage der angewandten Rechtsquellen und zusätzlich gebrauchter Fachliteratur. Aus dem vorhandenen Aktenmaterial lässt sich zudem der Verlauf von Prozessen, beginnend mit der Denunziation bis zum Urteil darlegen. Auf Grund dieser Basis wird das Verhalten der Gießener Professoren und ihrer Einflussnahme, gerade auch in der Frage der Folteranwendung, auf die Prozesse beschrieben. Das Gießener Material lässt ergänzend auch die Bearbeitung spezieller Fragestellungen, wie z. B. die Rolle von Kindern in den Hexenprozessen, zu.

Im Schlussteil der vorliegenden Arbeit werden die gesammelten Ergebnisse in einen Kontext zum Spruchverhalten anderer bereits publizierter Untersuchungen für die Universitäten Rostock und Greifswald (S. Lorenz: Aktenversendung und Hexenprozess; Frankfurt/Main 1982) sowie Tübingen (M. Sauter: Hexenprozess und Folter; Bielefeld 2010) gestellt.

Im Anhang finden sich u. a. zwei übersichtliche und wertvolle Tabellen: In der Einen werden die beschuldigten Personen der für Gießen aufgefundenen Sprüche chronologisch mit Angabe der originalen Fundstellen aufgeführt, in der Anderen findet sich eine genaue Aufstellung der im Bearbeitungszeitraum der Fakultät angehörenden, und an der Spruchpraxis beteiligten Professoren.

Hauer schafft es mit der vorliegenden Arbeit, das komplexe Thema der ‚Spruchpraxis in Hexensachen‘ gründlich und interessant aufzuarbeiten und auch für Nichtjuristen und Laienhistoriker gut lesbar und verständlich darzulegen.