Die Germanistik hat in den letzten Dezennien wilde Jahre durchlebt. Das begann mit dem Münchner Germanistentag von 1966, wo die Ruhe nachkrieglicher geistesgeschichtlich-werkimmanenter Literaturbetrachtung gebrochen wurde durch den ersten Versuch einer Aufarbeitung der braunen Vergangenheit des Fachs. Nunmehr liefert das im gleichen Verlag erschienene Germanisten-Lexikon die Möglichkeit, sich leicht über die nationalsozialistische Verfehlung fast aller nichtemigrierter Literaturwissenschaftler nach 1933 zu unterrichten. Sie erhielten alle wieder ' manche nach kurzer Pause ' Lehrstühle in der Globke-Republik.
Methodengeschichtlich folgten die fundamentalistischen Totschläger mit der roten Fahne ('Schlagt die Germanistik tot, färbt die blaue Blume rot'). Auch nach deren Tod wurde es in der Literaturwissenschaft nicht ruhig: eine Vielzahl methodischer Ansätze purzelte auf den Markt der Meinungen (poststrukturalistische, sozialgeschichtliche, postmoderne, analytische, neopsychoanalytische, dekonstruktivistische, systemtheoretische, feministische, empirische, diskurstheoretische; kulturwissenschaftliche; konstruktivistische, usw.) und führte zu einer heillosen Verwirrung, in der jahrmarktsmäßig zu gelten schien: anything goes. Hinzu kam eine Erweiterung des Gegenstandsbereiches, zuerst durch den Einbezug trivialer Literatur, dann der Medien, z.T. der Gebrauchs- und Wissenschaftsliteratur. Dabei blieb sowieso ganz außer acht, was in einer hochmodernen, global werdenden Welt Funktion des Faches sein könnte, was eine Angewandte Literaturwissenschaft wäre. Literaturgeschichten und kleinere Lexika versuchten auf dem wogenden Meer, die Fracht in einen sicheren Hafen zu retten. Opulente Habilschriften konnten da und dort solide Markierungen setzen.
Das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft (RLW) ist ein Begriffswörterbuch, das eine umfassende und systematische Bestandsaufnahme des literaturwissenschaftlichen Sprachgebrauchs bietet. Sein eigentliches Ziel ist die Klärung und Präzisierung des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs. Daher unterscheidet es im Gegensatz zu anderen Lexika deutlich zwischen Wort-, Begriffs-, Sach- und Forschungsinformation. Die Artikel sind in sich gegliedert:
Die Explikation macht einen historisch gestützten Gebrauchsvorschlag: Wie ist der Begriff in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft sinnvollerweise zu verwenden? Wie verhält er sich ggf. zu anderen Begriffen seines terminologischen Feldes?
Die Wortgeschichte informiert darüber, woher das betreffende Stichwort kommt, was seine Bedeutungen waren und sind.
Die Begriffsgeschichte erklärt, wie sich der Begriff konzeptuell entwickelt und verändert hat und wie er möglicherweise alternativ benannt worden ist.
Die Sachgeschichte beschreibt, wie die heute mit dem explizierten Terminus bezeichnete Sache ' insbesondere im deutschen Sprachgebiet ' von den Anfängen bis in die Gegenwart ausgesehen hat.
Die Forschungsgeschichte stellt dar, inwieweit die ' insbesondere deutschsprachige ' Literaturwissenschaft diese Sache bislang erforscht hat, und eine knappe Zusammenstellung der Literatur zeigt, wo man weitere Informationen finden kann.
Das Lexikon führt in mehr als 900 Artikeln in die Begriffswelt der deutschen Literaturwissenschaft ein. Zu ihm wird jeder erste Griff jedes Literaturstudierenden sein. Es bietet allen Interessierten die Möglichkeit einer schnellen und kompetenten Information.