Jean-François Champollions Name wäre wohl kaum in der ganzen Welt bekannt geworden, hätte er nicht mit einem Geniestreich ein Jahrtausende altes Rätsel gelöst: die Funktion und Lesung der Hieroglyphen. Nicht aber sollte man den Fehler begehen, den französischen Gelehrten hierauf zu beschränken.
Champollion, 1790 geboren und bereits 1832 infolge eines Schlaganfalls verstorben, war in die Umbruchszeiten der Französischen Revolution hinein geboren worden, die maßgeblich sein akademisches und privates Leben beeinflussen sollte. Er wie sein Bruder Jacques-Joseph Champollion-Figeac (1778-1867) waren begeisterte Archäologen und Historiker, die beide frühe, wichtige Arbeiten über das alte Ägypten veröffentlichten. Sein ältester Bruder dürfte entscheidend das Interesse Jean-François Champollions geweckt haben, sich mit der Entzifferung der Hieroglyphen zu beschäftigen. Die Geschwister wirkten oftmals gemeinsam, erst in Grenoble, anschließend in Paris. Robinson greift daher weit in die Biografien beider Champollions aus.
Jean-François wird der Intention des Buches entsprechend eingehender seziert. Der Verfasser skizziert dessen Lehrer, Weggenossen, Rivalen und natürlich die Familie, um dem Leser Hintergrundinformationen zu geben, die verstehen helfen sollen, was Champollion antrieb – und zurückwarf – um das eine noch große Geheimnis der Antike zu lüften, dessen es bedürfte, die altägyptischen Texte wieder lesbar zu machen. Detailliert beschreibt Robinson den Weg der Dechiffrierung (S. 151-180, Kapitel 10, „Der Durchbruch“) und ordnet die Entdeckung in die Entwicklung des Zeitgeistes des 19. Jahrhunderts ein (S. 6-12, Prolog, „Ägyptomanie“, wobei die Einleitung terminologisch differenzierter hätte ausfallen müssen; S. 181-200, Kapitel 11, „Die Renaissance Ägyptens“). Die Entzifferung der ägyptischen Bildzeichen führte Champollion – inzwischen Direktor der ägyptischen Sammlung des Louvre – 1828 endlich selbst nach Ägypten (S. 213-246), von wo er eineinhalb Jahre später mit viel Forschungsmaterial nach Frankreich zurückkehrte. Robinson vertritt die Meinung, Champollion habe sich dabei mit einer Krankheit durch verunreinigtes Nilwasser infiziert, die seinen frühen Tod mit 41 Jahren am 4. März 1832 provoziert habe; eine These, die mit den überlieferten Beschreibungen zum Tode Champollions jedoch nicht unmittelbar ableitbar ist. Der abschließende Ausblick mit Würdigung der Arbeit Champollions mündet in eine kurze Einführung in die Hieroglyphenschrift, dieser nach Robinson epochalen Entdeckung des Franzosen, der somit „Begründer eines neuen Wissenschaftsbereiches“ geworden ist (S. 286).
Diese vorliegende Biografie zu Jean-François Champollion ist flüssig und gut verständlich verfasst und sorgsam in das Deutsche übertragen. Zumeist zeitgenössische Abbildungen vervollständigen den Text sinnhaft. Robinson legt großen Wert darauf, die Biografie in den politischen und kulturhistorischen Kontext des revolutionären und nachrevolutionären Frankreichs zu setzen, aber nicht immer sind unmittelbare Bezüge zu Champollion und seiner Entzifferung der Hieroglyphen deutlich, sodass an manchen Stellen ein gewisser Leerlauf bei der Lektüre entsteht. Dann wirkt es auf den Leser wie eine Historiografie des 19. Jahrhunderts, das auch in anderen Biografien dieser Epoche hätte Eingang finden können, jedoch ohne zwingenden Bezug zu Jean-François Champollion. Die kritische Auseinandersetzung Robinsons mit der zweibändigen Lebensgeschichte Champollions von Hermine Hartleben zieht sich als roter Faden durch das Buch (vgl. etwa das Personen- und Sachregister aus S. 324), steigert dadurch aber den Wert der jüngeren, hier anzuzeigenden Biografie, gelingt es Robinson doch, viel von den mündlichen, unbelegbaren Informationen zu Champollion, die sich bei Hartleben finden, zu entkräften oder wenigstens teilweise zu relativieren.
Wie der Hieroglyphen-Code geknackt wurde ist ein durch und durch empfehlenswertes Buch, das einen fundierten Einstieg zum Leben und Schaffen Jean-François Champollions bietet. Wenn auch die Entzifferung der Hieroglyphen das „Highlight“ im Leben des Franzosen ist und daher das Buch gleichfalls darauf den dramaturgischen Höhepunkt legt, vermittelt Andrew Robinson weit mehr als „numerische Symbolanalyse“ zur Wiedergewinnung der Lesung altägyptischer Schriftzeichen: Dank einer vorbildlich ausgesuchten wie ausgezeichneten Bebilderung skizziert er ein Wissenschaftsgemälde einer nicht nur politisch, sondern auch kulturhistorisch epochalen Umbruchszeit.