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Mesopotamien – Wiege der Zivilisation und aktueller Krisenherd - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Mesopotamien – Wiege der Zivilisation und aktueller Krisenherd

Mesopotamien, das Zweistromland – einerseits das Land der „Märchen von Tausend und einer Nacht“, andererseits ein geschichtsträchtiges Gebiet der Menschheit, das immer wieder auf die Entwicklung Europas ausstrahlt. Hier sei nur Alexander der Große erwähnt, der Babylon eroberte und dadurch die Perserkriege beendete. Der Einfluss auf Europa und die USA ist heute aktueller denn je: die Golfregion ist seit 1980 immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, wie der Iran-Irak-Krieg, die Operation „Desert Storm“ in den 1990er Jahren und schließlich der seit 2003 andauernde Militärkonflikt belegen. Dieser Zeitspanne – knappe 6000 Jahre – hat sich Wolfgang Korn mit dem Ziel angenommen, den großen Bogen der Geschichte aufzuzeigen und dabei detailliert einzelne Epochen darzustellen. Startpunkt sind die ältesten Ausgrabungsorte der vorderasiatischen Archäologie wie Jericho oder Göbekli Tepe. Insofern behandelt das Buch nicht nur Mesopotamien, sondern den ganzen Bereich des fruchtbaren Halbmondes. Die knapp 170 Seiten des Werkes werden genutzt, um die jeweiligen archäologischen und philologischen Hinterlassenschaften, wie auch die sumerische, akkadische, hethitische, kassitische, ebenso assyrische und babylonische Zeit darzustellen. Hierbei wird jedoch nicht auf die Philologie eingegangen, sondern die Kulturen und deren Hinterlassenschaften stehen im Vordergrund. Die hellenistisch-römische Periode findet dabei ebenso Beachtung, wie die, der von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart hinein.

Das erste der elf Kapitel stellt dem Leser die Region an sich vor und erläutert, warum dieses Gebiet umkämpft war und ist. Ferner führt es in die Probleme der vorderasiatischen Archäologie ein. Es folgt ein Kapitel, das die Forschungsgeschichte darstellt. Die ersten westlichen Reisenden in der Region, die Entzifferung der Keilschrift durch Georg Friedrich Grotefend sowie die Kletterpartie Henry CreswickeRawlinsons am Behistun-Felsen führen schließlich zu den ersten Grabungen der vorderasiatischen Archäologie, die gerade im Entstehen war. Die Person des Max von Oppenheim, die Bagdad-Bahn und die Spannungen im Vorfeld des ersten Weltkrieges sowie die Schwierigkeiten des zweiten Weltkrieges werden erläutert, und die Forschungsgeschichte mit den Wirrungen der aktuellen Lage abgeschlossen.

Das zweite Kapitel betrachtet die ältesten Siedlungen der mesopotamischen Gegend. Hier werden zunächst die Begriffe Tell, Tepe und Hüyük erläutert und ein Abriss über die Siedlungsgeschichte des fruchtbaren Halbmondes, der sich auch auf Fauna, Flora und Klima bezieht, dargestellt. Als Fund- und Grabungsorte werden Jericho, Çayönü und Nevali Çori, Göbekli Tepe sowie Çatal Hüyük vorgestellt und erläutert, wobei im weiteren Verlauf auf Funde wie Keramik, Figurinen, die Obed- und Halaf-Zeit, sowie die neolithische Revolution eingegangen wird.

Im dritten Kapitel geht es um die sumerische Zeit. Hier stehen die Grabungen von Max Mallowan oder Charles Woolley im Vordergrund. Die Stadt Ur mit ihren reichhaltigen Funden der Obed-Kultur und Uruk, Heimat des Gilgamesch stehen im Mittelpunkt. Neben den archäologischen Hinterlassenschaften, wie der Zikkurat von Uruk und dem großen Eanna-Heiligtum, werden die wichtigen architektonischen Strukturen beschrieben. Dazu werden immer wieder die Ausgräber zitiert, um die Bauten zu interpretieren. Ferner geht der Autor auf Fragen des täglichen Lebens, der Verwaltung, der Medizin, der Astronomie und dem Uruk-Phänomen ein, wobei in einem Exkurs auch der Frage der Sintflut nachgegangen wird. Das folgende Kapitel behandelt die Stadtstaaten und ersten Reiche in Mesopotamien. In diesem Zusammenhang werden erst die sumerischen Königslisten vorgestellt und weitere archäologische Quellen, die das Königtum aus der Sicht der Sumerer erläutern. Im Folgendem wird das Gilgamesch-Epos präsentiert, um dann auf die Funde in der Stadt Ur, speziell den Königsfriedhof, einzugehen. In Anschluss folgt die Darstellung der geschichtlichen Geschehnisse der Zeit. Im nächsten Zeitabschnitt geht der Autor auf die Zeit der Amurriter, Hethiter, Kassiten und Hurriter ein. Nach einer geschichtlichen Einleitung wird das Reich des Hammurapi vorgestellt. Es folgt eine Beschreibung von Hattuscha, der Hauptstadt der Hethiter, deren Kultur ebenso dargestellt wird, wie die der Kassiten und Hurriter, wobei auch das Königreich Quatna kurz betrachtet wird.

Die mittelassyrische, neuassyrische und neubabylonische Ära bildet den nächsten Themenkomplex und wird durch geschichtliche Schilderungen sowie Darstellungen von archäologischen Erkenntnissen aufbereitet. Hier werden die Stadt Assur mit der assyrischen Kultur ebenso vorgestellt, wie Nimrud, Ninive oder Babylon, das durch RobertKoldewey ergraben wurde.

Das letzte, sich mit der Antike beschäftigende Kapitel, behandelt den Zeitraum von 600 v. Chr. bis 600 n. Chr. Dem Leser wird die geschichtliche Entwicklung unter den Persern, unter den Griechen durch Alexander dem Großen bzw. die Diadochen sowie den Römern und Parthern vorgestellt, wobei auch auf Palmyra oder den Nemrud Dag eingegangen wird.

Das folgende Kapitel stellt die Entwicklung der Region von der islamischen Eroberung über die Entwicklung der Kalifenherrschaft bis zu den Wirrungen des ersten Weltkrieges, und schließlich zur Machtergreifung Saddam Husseins sowie der Beendigung seiner Herrschaft durch die Invasion der USA und deren Alliierter.

Mit dem letzten Kapitel des Buches greift der Autor die aktuelle Situation des Iraks auf. Er zeigt die vielschichtigen Gründe des Irakkrieges auf, die nicht nur in unmittelbaren Zusammenhang mit dem 11. September 2001 oder der Frage nach Massenvernichtungswaffen stehen. Ferner wird die schwierige politische und kulturelle Situation während der amerikanischen Besatzungszeit geschildert und letztlich ein Ausblick auf eine mögliche Entwicklung der Region gegeben, wenn sie wieder politisch selbstständig sein sollte.

Das Buch ist sehr hochwertig produziert, verfügt über sehr gute Abbildungen und besticht vor allem durch seine gute Lesbarkeit und die Aktualität. Gerade dem Laien, der sich einen Überblick über die vorderasiatischen, antiken Städte verschaffen möchte, ist dieses Buch zu empfehlen. Das Literaturverzeichnis ist ausführlich und ermöglicht weitere Recherchen. Ein negativer Punkt ist, dass die Quellen nicht direkt mit Fußnoten zitiert werden.