Um diese höchst anregende, sorgsam redigierte und tagespolitisch aktuelle Zusammenstellung verschiedener Beiträge der Forschergruppe 'Archäologie und Einbildungskraft' in vollem Umfange ausreichend würdigen zu können, müsste der Rezensent Archäologe, Literatur- und Kunstwissenschaftler sein, am besten noch ausgestattet mit philologischem und philosophischem Hintergrund verschiedener Epochen und Räume. Dies kann der Autor der folgenden Zeilen leider nicht leisten, wohl aber den positiven Gesamteindruck begründen, den das vorliegende Buch hinterlassen hat: Dass archäologische Wissenschaft nicht nur ein aktualisiertes Bild von Antike zeichnet, sondern auch immer Bilder des kulturhistorischen wie -politischen Umfeldes widerspiegelt, in dem sie sich bewegt, gleichwie sie geprägt ist von ihrer Ausdeutung durch den einzelnen Wissenschaftler und dessen Forschungsmotivation. Dies alles ist nicht neu, wohl aber der analytische Ansatz, dies in Literatur, Kunst und Ideenlehre im Einzelnen durchzuspielen, um eine bislang nicht erreichte Tiefe und Weite zu erreichen und so zu Antike und Altertum vorzudringen. Dass dieser Prozess, dessen Höhepunkt im 19. und 20. Jahrhundert lag, nicht abgeschlossen ist, ist eines der weniger überraschenden Ergebnisse dieses Bandes. Was im Beginn als Einzeluntersuchung ambitionierter Wissenschaftler wie beispielsweise Nikolaus Himmelmann begann, ist inzwischen interdisziplinär in einem Forscherverband aufgestellt.
'Ruinen in der Moderne' hat weniger zum Ziel, auf deskriptiver Ebene den Mythos 'Antike' und seine Hinterlassenschaften zu würdigen, sondern fragt nach. Und diese Fragen nähren sich aus verschiedenen methodischen Ansätzen der unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen und ihrer Teilbereiche. Hierauf verweist die Herausgeberin in ihrer Einleitung ebenso klar wie prägnant und skizziert die Ausgangspositionen des Verhältnisses zwischen Moderne und Antike sowie der Kunstwissenschaften im Allgemeinen und der Archäologie. Aus diesen teils gegenläufigen Auffassungen von Altertum fragt sie von Diderot her kommend nach der ästhetischen und kulturellen Größe der Ruinen Griechenlands und Roms, ihrer Motivik in Kunst, Musik und Literatur, verweist auf die hypothetischen Bilder der einzelnen Wissenschaften auf das Altertum und schließt dies perspektivisch ab mit Blick auf noch zu leistende Untersuchungen zur internationalen Lyrik in Bezug auf den antiken Mythenstoff und zur klassischen Architektur.
Antworten geben die verschiedenen namhaften Autoren in ihren Einzelbeiträgen. Die gewählten thematischen Gruppen sind erstens historische Grundlagen, zweitens Kunst und Medien sowie drittens Literatur; sie wurden disparat aufgearbeitet. Alain Schnapp nähert sich dem Begriff der Ruine metaphorisch als Brücke zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, die Raum und Zeit überwinden kann. Dimitris Damaskos, Leonard Barkan und Irene Barbiera greifen diesen Gedanken auf und wenden ihn auf ausgesuchte Orte und / oder Epochen an. Adolf Borbein grenzt sich hiervon in seinem Beitrag ab und legt ein besonderes Augenmerk auf archäologisches Objekt und Archäologie als Wissenschaft im Widerstreit der Gesellschaft mit der Bildungselite im 20. und 21. Jahrhundert. Winckelmann, Goethe, Böcklin und Nietzsche werden im zweiten Teil als Ausgangspunkte herangezogen, um Archäologie im Spiegel der Kunst, der Musik und des Denkens zu betrachten. Dieses Thema wird fallweise um das fotografische Auge, das Ballett und das Schauspiel mit Rückbezügen zu Antike oder auf antike Texte ergänzt. Der Literatur und ihrem Blick auf das Altertum ' Rezeption und Idee ' ist Teil drei des Buches zugeordnet. Hier sind es im besonderen Einzeluntersuchungen zu Autoren und ausgewählten Werken, an denen die Aktualität des Altertümlichen gezeigt und durchgespielt wird, wie die Idee des Niedergangs und der Zerstörung der Alten Welt treibende Feder eines Neubeginns werden kann. Die Artikel sind als englischsprachig verfasste abstracts an das Ende des Buches summarisch gestellt, hinzu kommen die notwendigen Abbildungsnachweise, Informationen zu den Autoren und ein Personenregister. Dank der hervorragenden Einführung Kocziskys werden die qualitätvollen Einzelbeiträge in 'Ruinen in der Moderne' verklammert und in einen sie verbindenden Kontext gestellt.