Zehn "Imperien" oder besser: "Weltreiche" stellen renommierte Wissenschaftler in dem vom Historiker und Archäologen Thomas Harrison herausgegebenen Sammelband vor. Die veranschlagte Zeitspanne schließet das 2. Jahrtausend v. Chr. mit ein und endet etwa um 500 n. Chr. (vgl. S. 8ff.). Reich bebildert kommt das Buch daher, mit vielen Karten, Herrscherlisten und Bilderläuterungen zu den in den Text gesetzten Fotos. Zahlreiche Zitate schlagen eine Brücke in die antike Zeit zurück ('Stimmen eines Imperiums'); Mark Aurel, Plutarch, Thutmosis III., Suppiluliuma, Nebukadnezar II., Thukydides und andere historische Persönlichkeiten kommen dabei zu Wort. Zahlreiche Gegenstände der im Buch behandelten Kulturen bzw. Epochen sind illustriert oder als Foto beigegeben, durchweg in einer beeindruckenden Qualität. Ganzseitige Abbildungen wechseln sich mit weißer Schrift auf dunklem Hintergrund und umgekehrt ab, die das Durchblättern des Bandes zu einem Genuss werden lassen; so bieder der Einband mit seiner senfgrünen Färbung des Haupttitels daherkommt, umso mondäner ist das Innenleben des Buches.
Vorliegende Ausgabe ist eine Übersetzung, die 2009 unter dem Titel "The Great Empires of the Ancient World" erscheinen ist und von Christian Helmchen besorgt wurde. Das englische Original ist inzwischen weit billiger zu bekommen als die deutschsprachige Ausgabe, die Übersetzung steht dem Englischen jedoch in nichts nach, und sie ist gut leserlich übertragen worden. Zehn Darstellungen von Reichen umfasst der Band: Ägypten, Anatolien, der Nahe und der Ferne Osten, Südasien sowie die Mittelmeerregion sind die topografischen Eckpunkte und bilden zusammengenommen eine thematische Einführung. Letztere fällt verhältnismäßig kurz aus und bleibt nach dem Eindruck des Rezensenten eher oberflächlich. Überschrieben mit "Ein neuer Blick auf alte Reiche" spielt Harrison an dieser Stelle mit der Aktualität der Geschichte, z. B. im Film, Roman oder vermittelt durch Ausstellungen. Seine Anmerkungen zum Begriff "Imperium", der hier explizit im Gegensatz zu "Reich" oder "Staat" Verwendung finden soll, beschränkt sich darauf, es mit großen territorialen Gebilden zu tun zu haben. Einer ihrer Gemeinsamkeiten ist, dass alle Imperien eigentlich unterschiedlich gebildet und geführt worden sind, und sie einem fremden Vorbild folgen. Diese These alleine erscheint gewagt, denn etwa Ägypten, das hethitische Reich oder auch der Attische Seebund werden kaum einen greifbaren Vorläufer dieser Art besessen haben; dies kann, muss aber nicht eine Herleitung des Imperiumsbegriffs sein. Harrison ist sich dieses definitorischen Defizits anscheinend bewusst und flüchtet daher in die Moderne, sich dem Imperium anzunähern. Die europäischen Großmächte werden dabei generalisiert betrachtet, leitet von daher kommend schnell zu 'Imperialisten' über und scheut sich auch nicht, Blogger als Definitionsgeber anzuführen. Dass es Imperiengeschichte als Forschungsschwerpunkt in verschiedenen historischen Arbeiten bereits gibt, ist im Vorwort nicht thematisiert (und ein Literaturverzeichnis bzw. Literaturhinweise gibt es im Band hierzu nicht). Eine Definition wäre an dieser Stelle für die Lektüre des gesamten Buches jedoch notwendig gewesen, denn, "the term 'empire' has a broad variety of denotations and uses, and consequently, prompts different definitions" (José M. Galan, Victory and border: terminology related to Egyptian imperialism in the XVIIIth Dynasty, Hildesheim 1995: 1). Der deutschsprachige Leser sei auf Herfried Münkler, Imperien. Die Logik der Weltherrschaft vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005 und Hans-Heinrich Nolte, Imperien: Eine vergleichende Studie, Schwalbach/Ts. 2008 verwiesen, die ein gutes theoretisches Grundgerüst zur Verfügung stellen, um die Beiträge in Harrisons Band in allen Facetten nachzuvollziehen; denn - dies sei an dieser Stelle vorweg bemerkt - die Autoren der einzelnen Artikel haben sich durchaus intensiv auch mit den Imperientheorien auseinandergesetzt und gehen hierauf punktuell immer wieder ein.
Nach Ansicht des Rezensenten sollte von folgenden Punkten ausgegangen werden: Ein Imperium präsentiert sich als Garant für ökonomische, politische und soziale Stabilität in dem von ihm eingenommenen Gebiet und seiner Bevölkerung. Übergreifendes Hauptkriterium eines Imperiums ist seine große räumliche Ausdehnung über verschiedene Territorien hinweg, die zudem die Herrschaft über mehrere "Völker" einschließt. Dieser (nicht zwangsläufig, aber meistens) polyethnische und multireligiöse Herrschaftsbereich wird unmittelbar regiert und ist formell abgesichert (Rechtsraum). Somit kann er an einen Nachfolger übertragen werden. Diesem Zentrum schließt sich als Peripherie ein Kulturraum an, der der Interventionsreichweite des Herrschaftsbereiches entspricht. Die zentrale Macht wird zu ihren territorialen Rändern hin abgestuft und bildet dort keine präzisen Grenzen aus wie etwa ein Flächenstaat. Neben seiner Größe kennzeichnet ein Imperium eine gewisse Langlebigkeit, die wiederum eine institutionelle Reform- und Regenerationsfähigkeit erfordert. Räumliche und zeitliche Ausdehnung schaffen den kognitiven Gesamtraum, der Land und Bewohner prägt. Die innere Struktur eines Imperiums wird von einer umfangreichen Bürokratie bestimmt. Wichtigste Instrumente sind eine Verwaltungssprache und -schrift, mit deren Hilfe Verordnungen und Erlasse im Herrschaftsbereich bekannt gemacht und Steuern und Abgaben eingezogen werden. Die Lenkung von Waren- und Kapitalströmen ist neben dem militärischen Schutz für den Aufbau und den Erhalt eines Imperiums von größter Bedeutung. Hierzu gehören vor allem die im Herrschaftsbereich zentral eingezogenen Steuern und Abgaben, die in vorindustrieller Zeit zu einem beachtlichen Teil aus der Agrarwirtschaft eingenommen wurden. Erzielter Gewinn wird von der Bürokratie, den Eliten und dem Regenten abgeschöpft und fließt teilweise direkt zum Beispiel in Form von Prachtbauten oder über Handel in das Land zurück.
Bill Manley für Ägypten, Trevor Bryce für das hethische Reich, Marc van de Mieroop für Assyrien und Babylonien sowie Llewellyn Lloyd-Jones für das erste Perserreich bearbeiten in ihren Beiträgen die Auseinandersetzung mit dem Imperiumsbegriff vorbildlich und geben dem Leser knappes, aber durchaus sehr informatives Material an die Hand, sich über die Entwicklung der Reiche einen guten Eindruck verschaffen zu können. Der Attische Seebund stellt von seiner Struktur her ein Problem dar, ihn zu beschreiben. An vielen Stellen schweift der Autor Alastair Blanshard in das Verhältnis von Athen und Sparta ab und verlässt das vom Titel her vorgegebene Terrain. Im Ergebnis schildert er die politische Lage auf der Peloponnes im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. Als historische Matrize. Auf die Unterschiede zu einem 'Reich' geht der Verfasser ausführlich ein, dass der Seebund streng genommen in diesem Buch hätte nicht erscheinen dürfen.
Michael Sommer zeichnet in Koautorenschaft mit dem Herausgeber und als Einzelverfasser für das Reich Alexanders und die Diadochenreiche verantwortlich sowie für das römische Imperium. Beide Beiträge sind konzis und sehr gut strukturiert, leicht verständlich lesbar. Mit dem Blick nach Osten durch Robin Coningham, Mark Manuel und Bill Jenner schließt der Band seinen Rundumschlag ab - und es kann von seinem thematischen Aufbau, seiner Gestaltung und der Qualität seiner Beiträge durchweg überzeugen. Für die "schnelle" Information durchaus geeignet, empfiehlt sich das Buch darüber hinaus einem historisch interessierten Leserkreis.