Bücher sind 'eine kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit' (Kladdentext u. S. 15), meint Umberto Eco. Er muss es wissen, denn kaum ein anderer moderner Autor ist in Fachkreisen und darüber hinaus einem allgemeinen Publikum ein derart vertrauter Begriff. Intelligent, humorvoll, aufweckend, interessant und spannend sind seine Abhandlungen und Romane. Sein Verfassername ist ' im Sinne eines kulturellen Gedächtnisses ' schon zu Lebzeiten unsterblich geworben.
Dennoch hat er nicht aufgehört zu schreiben, und so kann man sich an seinen neuesten geistigen Ausflügen rege beteiligen. 'Neuestes' bedarf jedoch der Relativierung, denn die originalen italienischen Fassungen sind bereits seit 2006 erhältlich (einiges ist noch früher verfasst), und der deutschsprachige Käufer kommt eben erst mit Verspätung in den Lesegenuss. Dafür hat er aber wieder einmal eine kongeniale Übersetzung von Burkhart Kroeber an die Hand bekommen, um den italienischen Autor auf seinem Weg zum Bücherlieben zu begleiten.
Drei Bereiche deckt der Band gesammelter Vorträge und Essays bzw. Einführungen ab: die Bibliophilie, die Historica und Narren von literarischer wie wissenschaftlicher Art.
In diesen drei Bereichen verbirgt sich als erstes der Akt der Erinnerung, nämlich um etwas im Gedächtnis zu bewahren und gleichzeitig, um das Erinnerte zu filtern. Dieses Substrat wird weitergegeben an die nächste Generation, von dort auf die nächste usw. Transportiert wird dieses Wissen oral oder als 'mineralisiertes Gedächtnis' (S. 12) in Stein oder auf Ton. Ihnen gesellt sich das 'pflanzliche' als drittes hinzu, das Papier (und seine Varianten). Über dieses pflanzliche Gedächtnis kommt Eco zur Unsterblichkeit. Denn der auf Papier festgehaltene Text ist personalisiert, eben von eigener Hand verfasst, freier in Form und Ausführung als standardisiertes Gemeißeltes oder Gehauenes auf Stelen oder Vergleichbarem. Der Leser versucht hierbei die Gedanken des Verfassers der handschriftlichen Texte zu fassen, mit ihm in einen geistigen Kontakt zu treten, selbst dann, wenn sein Gegenüber räumlich und zeitlich weit entfernt ist: Kontakt mit jemandem, der bereits tot und nur noch als Schrift präsent ist. Auf drei Gefahren macht Eco aufmerksam: Insgesamt ist zu viel geschrieben worden bzw. wird zu viel geschrieben, um es erinnern zu können, und das geschriebene Werk verschwindet, indem es zu Staub zerfällt, weil der Textträger Papier sich auflöst. Eher beiläufig erwähnt Eco noch das Faktum, was den Rezensenten seines Buches schon länger umtreibt: der steigende Preis, denn wer kann es sich erlauben, 300 ¤ oder teurere Druckwerke in höherer Anzahl der erwerben? Der 'Vorwegnahme der Ewigkeit' sind also nicht unerhebliche Grenzen gesetzt.
In Ecos drei Bereichen verbirgt sich als weiteres die Liebe zum Gegenstand Buch, denn das gedruckte Werk an sich enthält eine Erinnerung ' durch sein Alter an die Vergangenheit ' durch seinen Erhaltungszustand an seine konkrete Benutzung ' durch seine Rezeption in anderen Schriften an seine Bedeutung. Der Griff zum Buch seiner Kindheit erinnert an jene frühen eigenen Jahre, der Blick auf Anmerkungen im Text ruft vergessene Gedankengänge ins Bewusstsein zurück oder der Titel eines Werkes vermittelt ein Gefühl der Ehrfurcht vor dem Autor und der ungebrochen Wirkung hinein in unsere Zeit (das müssen Sie gelesen haben!). Bibliophil darf man sein, meint Eco, und sein Liebesnest ist die eigene Bibliothek. Hier manifestiert sich seine Verliebtheit ' auch haptisch durch bloße Berührung der Objekte der Begierde. Der Bibliomane im Gegensatz dazu schädigt das pflanzliche Gedächtnis, denn er entzieht das Buch der Allgemeinheit, weil dieser es nur für sich will. Er ist nämlich von Besitzgier zerfressen. Wird so ein Titel der Allgemeinheit geraubt, weil es kaum noch Menschen gibt, die es lesen können, so drohen dem Buch an sich Gefahren dadurch, dass es vernachlässigt wird und verfällt, dass es wegen seines Inhaltes bewusst zerstört oder dass es aus monetären Überlegungen heraus zerschnitten wird und die einzelnen Seiten aus dem Gesamtwerk separat verkauft werden.
In Ecos drei Bereichen verbergen sich als weiteres die Ansichten eines Sammlers, der von seinen Büchern beansprucht wird. Gerade die alten hiervon wollen gelesen und verglichen werden, um hinter ihre Geschichte zu kommen, die kein Auktionskatalog der Welt verzeichnen kann. Denn obwohl alle Werke bei ihrer Herstellung zum selben Zeitpunkt gleich waren, sind sie durch Bindung, Benutzung und Einträge im Buch zu Unikaten mutiert, die sich ' zumindest bei älteren Ausgaben ' schwerlich noch auf einen Idealtypus reduzieren lassen.
In Ecos drei Bereichen verbergen sich als weiteres Ästhetik der Form und Farbe, wie sie etwa im Evangeliar of Lindisfarne und in verschiedenen Lesarten des Très Riches Heures gedruckt wurden. Es sind im Besonderen die Darstellungen von legendären Kulturen, die Wiedergabe von Nicht-Orten, die als Insularien bis in das 18. Jahrhundert nachweisbar sind. Abbé Migne ist hierbei für Eco eine faszinierende und zugleich ausbeuterische Person ' vielleicht ist Berlusconi dem französischen Pfarrer nicht unähnlich, denn beiden ging es darum, über Quantitäten gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen. Dabei war eine selbstredende Bebilderung ein wichtiger Kommunikationsfaktor. Mit Hilfe der Bildtafeln rekonstruiert Eco mit detektivischem Spürsinn exemplarisch am Amphitheatrum Sapientiae Aeternae ' Ausgabe Hanau 1609 ' , was selbst nach 400 Jahren bei akribischer Recherche über die Entstehungsgeschichte eines Buches noch herauszufinden ist.
In Ecos drei Bereichen verbergen sich verkannte Genies (oder einfach auch nur Spinner) wie Pierre Gustave Brunet (auf S. 144 fälschlich Brunot), der nach der Maßgabe 'Verrückte schreiben Verrücktes' Sokrates, Newton oder Poe unter dieser Kategorie Autoren subsummierte. Diese verrückte Idee sei bereits beinahe wieder genial, schreibt Eco, und beschließt mit solchen und ähnlichen Narreteien seine Art, Bücher zu lieben.
'Die Kunst, Bücher zu lieben' ist von einem sehr privatem Zugang Ecos geprägt, der aus einem regen Umgang mit seiner 30.000 Bände umfassenden Mailänder Bibliothek genährt worden ist. Man erfährt sehr viel über Eco selbst, seine Lieblingsbücher und über seine Prägung durch das gedruckte Wort; mehr noch aber über die Fragen von Erinnerung in geschriebenen Texten und deren Weitergabe, den Wert von Büchern an sich ' ideell wie materiell ' und über die Wirkungsgeschichte ausgesuchter Titel. Diesem sehr persönlichen Buch Ecos möchte auch der Kritiker eine individuelle Komponente beigeben, der sich von dem Buch viel versprochen hat, was durchweg gehalten werden konnte: Fesselnder Schreibstil, intelligente wie spannende Fragestellungen, überraschende wie provozierende Thesen und überzeugende Argumente. Es ist seine Hoffnung gewesen, eine Lösung auf Erasmus von Rotterdams Zitat 'Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand' zu finden. Es geht hierbei nicht um den Bibliomanen, der sich Bücher aneignet, es geht um den Bibliophilen, dessen Himmelreich die Bibliothek ist. Wiederum ist es Erasmus, der die Folgen dieses zu großen ' verrückten ' Buchgenuss zusammenfasst: 'Wenn ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich mir davon Bücher. Wenn dann noch etwas übrig ist, kaufe ich mir Essen und Kleidung.' Eco hat nun rein gar nichts getan, um von dieser Art der Sucht, Bücher zu lieben, fortzukommen. Im Gegenteil: Sein Werk muss jeder Bücherversessene wenigstens gelesen haben (wahrscheinlich, um es dann doch zu kaufen), denn es erklärt, weshalb man eine eigene Bibliothek nötig hat. Von dieser Sucht therapieren kann Ecos Buch nicht, denn dafür ist es viel zu gut.