Die letzten Jahre haben das Erscheinen dreier populärwissenschaftlicher Monografien zu Leben und Sterben der letzten makedonischen Pharaonin Kleopatra VII. gesehen. Den Anfang hatte Manfred Clauss gemacht, dessen Buch in der Beck'schen Reihe Wissen derweil in der 4. Auflage 2010 zu erwerben ist. 2006 platzierte Wolfgang Schuller seine multikulturell angelegte Untersuchung zu eben jener Königin, im gleichen Jahr erschien auch die Darstellung von Christoph Schäfer, die sich kritisch mit den römischen Quellen auseinandersetzt. Alle drei Bücher unterstreichen den schillernden Charakter der sagenumwobenen Herrscherin von Nil, dabei gleicht keines dem anderen, weder in der Herangehensweise an das Phänomen oder an die historischen Quellen noch im Ergebnis, die Königin betreffend.
Schäfer setzt sich vor allem quellenkritisch mit den römischen Gewährsmännern auseinander, die mit der augusteischen Propaganda ein negatives Bild der Kleopatra entwerfen, das in der Moderne rezipiert worden ist. Malerei wie Film setzen auf den Vamp, die Lüsterne, die Verschlagene und die Unheilbringende. Erfreulich differenziert setzt sich hingegen der Autor mit den überkommenen schriftlichen Überlieferungen auseinander, betrachtet ihre Intention und Zeitstellung, gewichtet sie entsprechend und widerlegt sie, wenn archäologischer und/oder literaturkritischer Kontext (oder auch die Logik) dies nahelegen.
Kleopatra VII. wird als hellenistische Herrscherin charakterisiert, die um Machterhalt und -gewinn für das Pharaonenreich bemüht ist. Das erste Kapitel 'Kleopatra und die Ptolemäer' (S. 13'39) gibt einen kurzen Rückblick auf ihre Abstammung und die Staatsverhältnisse zu Beginn ihrer gemeinsamen Regentschaft mit Ptolemaios XIII. Ihr politischer Instinkt scheint groß gewesen zu sein (und/oder ihr Beraterstab außerordentlich erfahren), dennoch bleiben ihre Anstrengungen zuerst ohne weitreichende Wirkung: Als sie durch ihre Verbindung zu Caesar hoffen darf, in das weltpolitische Geschehen einzugreifen (Kapitel 2 'Caesar in Ägypten ' Kleopatra in Rom', S. 40'106), macht dessen gewaltsamer Tod mögliche gemeinsame Pläne zunichte. Ausgangspunkt Schäfers Schilderung hierzu ist der Alexandrinische Krieg, dessen Darstellung Cassius Dios oder Plutarchs er um die Berichte Lukans erweitert. Seine Schlussfolgerungen sind überzeugend, etwa dass der Brand der Bibliothek von Alexandria zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht stattgefunden hat oder dass die ausgedehnte Nilreise zusammen mit Kleopatra ein Mythos ist. Zusammen mit Marc Anton wendet sich ihr Blick gen Osten (Kapitel 4 'Marcus Antonius', S. 121'150), was beider Gegenspieler Octavian zu unterbinden sucht: Die von dem Römer initiierte Propaganda gegen die Ägypterin widerlegt Schäfer in seinem Buch Schritt für Schritt und schafft so eine Charakterisierung Kleopatras als strategisch agierende Potentatin (Kapitel 5 'Der Orient im Umbruch', S. 151'187): Sie weiß um die bedeutende Stellung ihres Landes in der Zukunft, denn vor allem die Prosperität ihres Herrschaftsbereichs erlaubte es dem vom Bürgerkrieg zerrütteten, arm gewordenen Römischen Reich, sich zu stabilisieren.
Der spätere Augustus ist bei Schäfer im politischen Spiel der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. aufgrund seiner antiägyptischen Propaganda negativ besetzt (Kapitel 6 'Schlacht bei Actium und die Entscheidung', S. 188'240). Nachdem der Historiker die Vorgeschichte in groben Zügen sehr gut geschildert hat, wird deutlich, dass Octavian dank seines Erfolges gegen Sextus Pompeius für eine kommende Schlacht ' die bei Actium ' besser positioniert war, hingegen Antonius gegen die Parther noch nicht den entscheidenden Sieg hatte erringen können. Die Niederlage des römisch-ägyptischen Heeres führt der Autor auf Versorgungsprobleme zurück, einer zustimmbaren These. Die in der römischen Literatur der Kleopatra angedichtete 'Feigheit vor dem Feind' lässt sich nicht nachweisen, wie Schäfer herausarbeitet, und passt auch nicht zu dem weiteren Verlauf des Krieges.
Schäfers Gesamtdarstellung der Lebenszeit der Kleopatra, auch mit seinen psychologischen Einwürfen, überzeugt rundum. Auch seine Einzelanalysen wie Alexanderverehrung und das Legitimationsprinzip der späten Ptolemäer sind gut begründet und ein neuer Ansatz in der bisherigen Rezeption. Interessant bleibt die Frage, wie in das Königskonzept der letzten Ptolemäerin ihr gemeinsamer Sohn mit Caesar ' Ptolemaios XV. Kaisar ' an der Seite Marc Antons gepasst hätte. Octavians Sieg über Ägypten hat dieses Projekt vorzeitig beendet.
Dem Sterben der Königin hat Schäfer ein eigenes Kapitel (7 'Kleopatras Tod', S. 241'253) gewidmet, in dem er vor allem dem Mythos des Schlangenbisses ein überzeugendes Ende setzt. Sein Hinweis auf die hohe Kunst der Medizin in Ägypten und die Überlegungen eines Selbstmordes durch Injektion passen sehr gut zueinander.
Der Wirkungsgeschichte der Erzählungen um Kleopatra widmet Schäfer den letzten Teil seines sehr flüssig geschriebenen und äußert anregenden Buches (Kapitel 8 'Darstellung und Rezeption', S. 254'289), das nach der Lektüre insgesamt einen höchst erfreulichen, durchweg positiven Eindruck hinterlassen hat. Einen Vorschlag für eine zu erwartende Zweitauflage möchte der Rezensent hier beigeben: Die Kunstentwicklung und Legitimationskonzeption der Kleopatra VII. ist beeinflusst von ihren Vorgängerinnen Arsinoe II., Berenike II. und Arsinoe III. Ein kurzer Abriss zu diesen Königinnen würde dem Leser noch zusätzliches Material an die Hand geben.
Ein zusätzliches Bonbon hält die Wissenschaftliche Buchgesellschaft seit 2010 bereit: Das überaus lesenswerte Buch Schäfers ist in der Reihe auditorium maximum ' gelesen von Wolfgang Schmidt ' vertont worden.