Als Bestandteil der 'Museumsinsel' in Berlin konnte 2009 der Wiederaufbau des 'Neuen Museums' nach Entwürfen der englischen David Chipperfield Architects abgeschlossen werden. Mehr als fünfzig Jahre, etwa 1/3 seines Bestehens, hatte der Bau als notdürftig gesicherte Ruine und nur provisorisch genutzt nach seiner Zerstörung von 1945 die Zeit überdauert. In ihm manifestieren sich daher aufgeklärter Absolutismus, Kriegszerstörung (und damit indirekt die Zeit des Faschismus), Wiedervereinigung und Moderne als historische Klammer für eine Ausstellung weit älterer Antiken. In der Tradition der Idee des 19. Jahrhunderts, der Kunst eine zentrale Stellung innerhalb des Berliners Stadtbildes einzuräumen, um ihre Bedeutung hervorzuheben, steht auch der Wiederaufbau des 'Neuen Museums'. Aber diese Vorgabe ist erweitert um die historische Dimension, eben auch den Frevel an Kunst und ihre Zerstörung abbilden zu wollen. Der Autor hat als Vorsitzender des Denkmalrates Berlin diesen Prozess kritisch begleitet (so der Kladdentext) und nimmt den interessierten Leser mit auf einen Rundgang in und um das Museum und erläutert die Überlegungen zu einzelnen Bauausführungen.
An den Anfang seiner Darstellung hat von Buttlar die Entstehungsgeschichte der Museumsinsel gesetzt. Dabei streicht er besonders das politische Klima und die intellektuelle Entwicklung der preußischen Gesellschaft heraus, ihr Zurückgreifen auf die Klassik als stilprägendes Element. Der rasche Zugewinn an Altertümern machte einen kontinuierlichen Ausbau der bereits fertiggestellten Museumsräume nötig, und die zunehmende Eigenprofilierung der Altertumswissenschaften forderte eigene repräsentative Gebäude. Ihr modernes wissenschaftliches Verständnis wollte 'rationale Aufteilung, funktionsgerechte Erschließung und sachgerechte Aufbewahrung' (S. 14), die im Stülerbau 'Neues Museum' Berücksichtigung fanden. Die architektonischen Inspirationen führen nach St. Petersburg und nach Athen zu Bauentwürfen von Leo von Klenze, in Teilen griff Stüler gerne auf Vorgaben von Schinkel zurück, wie auf den offenen Dachstuhl der Treppenhalle. Von Buttlar zeigt in seinem Architekturführer sehr detailreich und stets durch Abbildungen wunderbar erläutert, welche Ideen und Einflüsse Stüler in seinem Museumsbau aufnehmen konnte und verarbeitete und vor welchen bautechnischen Problemen er stand, wenn er etwa eine Gewichtsreduzierung des Gebäudes erreichen sollte, das es in sumpfigen Untergrund eingepfählt werden musste. Mit einem Blick auf die malerische Ausgestaltung der Räume wird der historische Rundgang abgeschlossen.
Die Zerstörungen der Brandbomben 1943 und 1945 zogen sich durch weite Teile des 'Neuen Museums': 'Vollständig ausgebrannt war die große Treppenhalle, ganz verloren der nordwestliche Flügel und der südöstliche Risalit mit seinem Kuppelsaal, die entsprechenden Flanken des Ägyptischen Hofes sowie etwa ein Drittel der Innenausstattung. Die Dächer, die meisten Ausstellungssäle und Oberflächen, die Gebäudehülle, der Griechische Hof, der Bauschmuck und die Außenanlagen mit den umlaufenden Pergolen waren schwer beschädigt' (S. 26). Auf Grundlage der Denkmalpflege-Charta von Venedig (1964) entschloss sich eine Expertenkommission zu einer sorgfältigen Konservierung und partiellen Restaurierung des Bestandes mit dem Ziel 'einer strukturell wieder intakten, museal nutzbaren Ganzheit' (S. 28). Die unter dieser Prämisse eingereichten Bauvorschläge analysiert von Buttlar und erläutert dem Leser auch die politischen Entscheidungen, an deren Ende die Umsetzung des Plans von Chipperfield und Harrap stand. Der Entwurf beider letztgenannten war im Grunde genommen der einzige, der erwarten ließ, denkmalpflegerische Vorgaben und notwendige Modernisierungen in Einklang zu bringen, wie in Blick in die Vorarbeiten erkennen lässt (S. 32-36).
Im anschließenden 'Rundgang' (S. 41-94) verwebt von Buttlar nun die zuvor gelegten historischen Fäden miteinander. Die Fassade und der Innenausbau des 'Neuen Museums' wird ausführlich im Zustand der Rekonstruktion aus diesem Jahrhundert beschrieben, eingeflochten sind immer Verweise zu den baulichen Veränderungen, die sich aufgrund der Zerstörungen ergeben haben. Dazu gehören u.a. die Malereien des Mythologischen Saals (Abb. S. 47f.) oder des Ägyptischen Hofs (Abb. S. 53), aus deren Resten sich immer noch sehr gut der Historizismus des 19. Jahrhunderts ablesen lässt; in ihrer jetzigen Form sind sie neben den ausgestellten Objekten des Pharaonenreiches selbst museale Kunst geworden, die früher als Dekoration heute nun selbst ins Auge des Betrachters stechen. Sie erinnern mit ihren wiedergegebenen Schauplätzen als ein lehrhafter Zyklus an die Ägyptenkampagne von Lepsius (Mitte des. 19. Jahrhunderts), mit ihrer Bruchstückhaftigkeit an die Zerstörung des Museums und damit verbunden zahlreicher Artefakte im Zweiten Weltkrieg und mit ihrer Wiederherstellung an die Vereinigung beider deutscher Staaten 1990. Trotz aller historischen Bezüge ist es gelungen, ein hochmodernes und im doppelten Sinne 'historisches' Museum zu erschaffen. Verlorene Bausubstanz haben Chipperfield Architects innovativ, aber dennoch einfühlsam ergänzt. Der Ägyptische Hof beispielsweise war ursprünglich dem Ramsesheiligtum in Theben nachempfunden und beherbergte Pharaonen- und Götterstatuen aus dem alten Ägypten. Nach dem Umbau erhebt sich an dieser Stelle eine in den Hof eingesetzte zweigeschossige Hauskonstruktion, in deren 'Keller' in Art einer Gruft das Thema 'Jenseits und Ewigkeit' untergebracht werden konnte. Fehlende Partien sind in Ziegel ergänzt und provozieren so den Eindruck einer 'Ruine' ' ein Thema, was bei Antikenbetrachtung nicht ungewöhnlich erscheinen muss.
Der Architekturführer von Adrian von Buttlar ist ein Quell an Informationen zur Baugeschichte und ideal bei einem Besuch im 'Neuen Museum' in Berlin. Der Autor versteht es mit viel Einfühlungsvermögen und sprachlichem Feinsinn, die verschiedenen historischen Ebenen jeweils eigenständig zur Geltung kommen zu lassen, ihre Bezüge herauszustellen und dem alten Museum eine moderne, aktuelle Bedeutung zu verleihen ' dies allein aus der Formensprache heraus, der zurückhaltenden Rekonstruktion und dem neuzeitlichen Anspruch, der bedeutenden ägyptischen Sammlung einen bedeutenden baulichen Rahmen zu geben. 'Neues Museum Berlin' ist hervorragend recherchiert, wunderbar flüssig lesbar und ausgezeichnet bebildert ' ein Museum und eine Museumsgeschichte im Buchformat, die für jeden Besucher der ägyptischen Altertümer wert ist, zu erwerben.