Gute Nachschlagewerke sind im keltologischen Bereich rar gesät. Dieser Mangel ist sicherlich teils darin begründet, dass viele Primärquellen noch unerschlossen in mittelalterlichen Handschriften vorliegen. Daher scheint man für viele Texte noch recht weit davon entfernt zu sein, wenigsten vorläufige Einschätzungen über deren Sitz im Leben abzugeben, geschweige denn zusammenfassend mögliche Interpretationen darzustellen. In den letzten siebzehn Jahren hat sich diese Situation erfreulicherweise geändert. 1994 legte Bernhard Maier das 'Lexikon der keltischen Religion und Kultur' vor, das 1997 auch in englischer Übersetzung erschien. 2006 präsentierte John T. Koch das unter Mitarbeit zahlloser internationaler Wissenschaftler entstandene monumentale 'Celtic Culture. A Historical Encyclopedia' . Nun hat Joseph-Claude Poulin ein Répertoire ráisonné, eine Überblicksdarstellung über die Zeugnisse bretonischer Heiliger des Hochmittelalters, als eines der Ergebnisse des am Deutschen Historischen Institut in Paris situierten Großforschungsprojekts 'Sources hagiographiques narratives composées en Gaule avant l' an mil' vorgelegt. Ziel von Poulins Unterfangen ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen der Bretonistik auf der einen Seite und der mittelalterlichen Geschichte auf der anderen und 'avoir contribué à decloisonner le traitement historien de l' hagiographie bretonne et à mieux raccorder deux mondes qui s' ignorent trop souvent: les médiévistes 'continentaux' , trop enclins à laisser de côté la production bretonne, comme phénomène marginal, et les chercheurs bretons, trop obnubilés par la recherche de brevets d' authenticité celtique originelle' (63). Die ausführliche Einleitung führt auch mit der Materie nicht Vertraute sorgsam in den Forschungsgegenstand ein und zeigt, dass Poulin mit dem aktuellen Stand der Forschung der beiden von ihm skizzierten Forschungsgebiete eng vertraut ist. Auch die ausführliche Diskussion des Bretagne-Begriffes sowie die Diskussion der wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung lassen deutlich die sorgfältige theoretische Grundlagenforschung sichtbar werden, die dem ganzen Unterfangen zugrunde liegt. Alleine die Fußnoten erweisen sich als Fundgrube für den an der Materie Interessierten und gehen auch weiter darüber hinaus und bieten sowohl dem eher auf Keltologie Fokussierten als auch dem eher breit mediävistisch Interessierten Hinweise auf weiterführende Literatur.
Insgesamt enthält das Werk vierzehn längere Abhandlungen sowie 34 kürzere ('notices brèves' ), die die weite Spannbreite des Werkes deutlich machen. Der feste Stand in der bisher vorliegenden Forschung wird nicht zuletzt in der umfangreichen Bibliographie, die die jüngsten keltologischen Forschungen einschließt, deutlich. Das Buch wird von Indices der Handschriften, der Personen und der Heiligen beschlossen. Kritisch anzumerken ist allenfalls, dass es die Nützlichkeit des besprochenen Werkes sogar noch gesteigert hätte, wenn alle in der Einleitung diskutierten Titel auch in einer Gesamtbibliographie zu finden gewesen.
Poulin ist zu Recht kritisch gegenüber bestimmten Forschungsrichtungen. Wenn er allerdings über die strukturalistische Interpretation von Heiligenleben schreibt, '[à] son stade le plus avancé, cette dernière procédure a conduit à percevoir les saints comme des héros celtiques, sommairement déguisés d' un camouflage chrétien ' une résurgence de la célèbre théorie des saints successeus des dieux' (59), so ist aber doch festzustellen, dass gerade in den irischen narrativen Texten des Mittelalters durchaus Ähnlichkeiten zwischen Heiligen und Helden bestehen, da beide Textsorten im selben kulturellen Umfeld entstehen ' ohne, dass man heute aber notwendigerweise sowohl die Helden als auch die Heiligen in unbedingt als Nachfolger keltischer Gottheiten ansehen muss.
Von diesen Kleinigkeiten abgesehen, ist Poulins Buch ein wichtiger und wertvoller Schritt zur Überwindung der von ihm skizzierten Kluft zwischen den Einzeldisziplinen.