Geschichten und ihre Geschichte

Die Antike besitzt eine nachhaltige Ausstrahlungskraft ' in der modernen Rezeption finden sich besonders in und nach der Renaissance Unmengen an Anspielungen, Wiedergaben und Uminterpretationen antiker Sagenkreise vor allem griechischer und lateinischer Autoren.
Ein Teil dieser mythischen Personen haben Eingang in die Ringvorlesung 'Geschichten und ihre Geschichte' gefunden, die am 22. Oktober 2002 an der Universität Zürich begann. Altertum ist eine stagnierende Größe, daher haben die Beiträge keinen aktuellen Bezug, aber dennoch eine uneingeschränkte Gültigkeit. 14 Artikel versammelt der Band, umfangreich ist er und gehaltvoll. Zur Sprache kommen Proteus (in philosophischer Untersuchung), Orpheus (in musik-magischer Ausleuchtung), Verginia(-Emilia), zweimal Lucius Iunius Brutus (Schicksal und Tragodie), Josef und seine Brüder (in islamischer Prägung), die Weisen aus dem Morgenlande (und ihre abendländische Interpretation), Jesus (nebst Abgar), Judas Ischariot (der historische Bösewicht schlechthin), Pandora (als Personifikation femininer Neugierde) und Ödipus (der Mutterliebende). Drei Aufsätze widmen sich der Vermittlung von Sageninhalten bzw. ihrer Wirkkraft. Es sind Literatur-, Kunst-, Geschichts- und Rechtswissenschaftler gleich wie Theologen, Orientalisten, Psychologen und Pädagogen, die in ihren Aufsätzen über das Thema der antiken Geschichte reflektieren und sich dabei fragen: 'Wie entstand unser heutiges Bild auf die Antike angesichts der antiken Quellen?' Die Herangehensweise an das Thema 'Geschichte' ist nach Wissenschaftsdisziplinen unterschiedlich, aber gerade darin liegt der Reiz dieses Bandes, die verschiedenen Grundlagen nebeneinander vereinigt zu haben. Umso vorteilhafter ist es für den Leser, dabei nicht nur historische Miniaturen, sondern zumindest teilweise auch literarische Formen vorgestellt zu bekommen, was der Band gleichfalls zu leisten vermag.
Die Komplexität der einzelnen Beiträge und ihre Vielzahl machen es nur einem Rezensenten schwer, en detail besprechen zu wollen oder gar einzelne Artikel hervorzuheben. Die Variationen zu Proteus bei Homer, Vergil oder Augustin sind ebenso reizvoll wie das Verständnis um Bullingers Brutus-Adaption, hat man zuvor das Brutus-Urteil in seinem antiken Uranspruch gelesen.
Die Lebendigkeit der griechisch-römischen Zeit in die Moderne hinein wird noch in vielen Vorlesungen, Forschungsbereichen, Ausstellungen und Monografien ihren Widerhall finden ' 'Geschichten und ihre Geschichte' ist eine kluge und überzeugende Zusammenstellung, die ebenso wie die in ihr dargestellten antiken Texte ihre (wissenschaftliche) Wirkungsgeschichte entfalten wird.