Friedrich Schiller

Oschmann liefert eine prägnante Kurzdarstellung, die dem Anfänger Probleme bereiten wird; er schreibt eher für Kenner der Lage, dabei sortiert er ordentlich: Schiller als Mediziner, Dramatiker, Lyriker, Erzähler, Historiker, als Theoretiker. Wichtig ist, dass das Wort 'anthropologisch' öfter auftaucht, gar ein ganzes Kapitel (69ff.) nach ihm benannt ist. Damit gerät eine Dimension in den Blick, die in den letzten Jahrzehnten allzu sehr verdrängt war.
Am Anfang aber steht eine Reflexion über Schillers Sprache. Irritierend bleibt hier die These, Schiller habe 'zentrale Begriffe gezielt mehrdeutig' (10) verwendet. Der Gebrauch von 'Natur' etwa sei ein 'Beispiel für die angestrebte Mehrdeutigkeit'. Hier fällt dem Leser und auch der Leserin ein, dass Alwin Diemer, weiland Philosophieprofessor, einen Aufsatz geschrieben hat mit dem Titel: was ist und was heißt Natur? Darin zählt er zwölf Bedeutungen auf, die dieses Wort als Begriff verwendet haben kann. Des Autors Position klingt wie ein ferner Abklatsch moderner 'Theorien': Wahrheit, Sinn, Bedeutung gilt nur noch als Spiel von Zeichen.
Diese modernistischen Meinungen unterstellen Kant einen black out. Der Königsberger hatte unterschieden das Ding an sich selber von seinen Erscheinungen und wohl auch angedeutet, was den preußischen Junker Kleist zur Verzweiflung trieb, dass das Ding an sich unerkennbar sei. So galt früh der Satz: ohne das Ding an sich komme man in Kant nicht hinein, mit dem Ding an sich könne man aber auch nicht in ihm bleiben. Die gesamte idealistische Reflexion nach Kant hat sich an diesem Problem abgearbeitet, es teils, bei Hegel, objektivistisch gelöst: für den Schwaben ist das Ding an sich erkennbar. Kant wusste sehr wohl, dass die Erscheinungen ' Husserl hatte sie noch Abschattungen genannt, modernistisch heißen sie heute disséminations oder traces ' jeweils Erscheinungen eines bestimmten Gegenstandes sind (ein Elefant als Ding an sich hat andere Erscheinungen als ein Pferd). Die, heute als substantialistisch verdammte, Behauptung eines Dinges an sich bleibt so jedenfalls sehr plausibel (vgl. z.B. auch E. W. Orth, Bedeutung, Sinn, Gegenstand, Bonn 1967).
Im Einzelnen sind immer, da Interpretation unendlich bleibt, Ergänzungen möglich. Etwas wenig ausdifferenziert ist die juristische Dimension bei den 'Räubern'. Zwar sieht Oschmann, dass Franz als 'Erbe nachstehen muss', aber er nennt nicht das jüdisch-christliche Majorat, das diese Konstruktion fundiert. Verwirrend ist die Einschätzung der Luise Millerin, die doch, nach Adorno, so fade ist wie die Limonade, die sie Ferdinand zubereitet, als Repräsentantin 'innerer Größe'. Hier fehlt, was man bei Benjamin lernen kann: die rettende Kritik gegen den Strich. Luise ist ein ganz armer Wicht, von der inneren Größe bleibt nur erbärmliche Angst vor (über)mächtiger Gewalt. Alternativen als Abwehr dieser Gewalt: etwa die Flucht, die Ferdinand vorbereitet hat, kann sie nicht erkennen.
Vieles kann noch ergänzt werden, ein Hinweis muss genügen: im 'Tell' beriefen sich die Schweizer auf ihre 'alte Freiheit', mit der auch die 'alten Rechte' verbunden seien. Man wolle ein 'unveräußerliches Naturrecht', 'den alten Urstand der Natur' (115). Hier scheint Schiller, modernistisch formuliert, essentialistisch. Was Natur ist oder sein sollte, muss erst, wie man sagt, performativ ausgehandelt werden, also in einem herrschaftsfreien Dialog, demokratisch, basisdemokratisch, bestimmt werden (freilich ist auch das, wie jüngste Volksmeinungen im Nachbarland zeigen, keine Garantie für Wahrheit oder Richtigkeit). Die Schweizer erscheinen bei Schiller eher als rückständige Älpler, die nicht sehen, dass 'der Himmelsbogen immer in Bewegung ist', wie Wallenstein wusste. So wird aber nur belegt, dass Schiller noch immer 'viel zu denken veranlaßt' (Kant).