Der Geltungsstatus von Jürgen Habermas' diskurstheoretischem Ansatz zur Klärung rechtlicher, moralischer und ethischer Fragestellungen bleibt weiterhin ein Problem, das nicht nur rein akademischer Art ist, sondern die Grenzen der Begründung von Antworten auf die Fragen gesellschaftlicher Auseinandersetzungen betrifft. Sei es bezüglich multikultureller Pluralität im demokratischen Rechtsstaat oder Normen in bioethischen Kontexten. Obgleich die diskurstheoretischen Verfahrensweisen, die Habermas vorschlägt, um zu gesellschaftlichen Konsens zu gelangen, kaum in ihrem Wert für demokratische Gesellschaften zu überschätzen sind, bleibt deren Geltungsstatus auch weiterhin ein philosophisches Problem. Daniel C. Henrich hat in seiner Dissertation 'Zwischen Bewusstseinsphilosophie und Naturalismus. Zu den metaphysischen Implikationen der Diskursethik von Jürgen Habermas' genau diese Frage an Jürgen Habermas' Philosophie gestellt.
Die Frage lautet, wie kann die Diskursethik bzw. die Diskurstheorie begründet werden, ohne auf der einen Seite in transzendental- oder bewusstseinsphilosophische Positionen zurückzufallen, oder auf der anderen Seite bestimmte Kommunikationsformen und Prinzipien ausschließlich als Produkt evolutionärer Entwicklung der Gattung Mensch zu betrachten.
Henrich diskutiert das Problem anhand von Habermas' Bezug auf die Sozialpsychologie George Herbert Meads. Habermas versucht demnach, eine 'nachmetaphysische' Rekonstruktion von Selbstbewusstsein unter zur Hilfenahme von philosophischen und soziologischen Aspekten ' als Versuch, zu zeigen, dass Begriffe wie 'Geist, Identität und Individualität nicht jenseits sozialer, speziell sprachlicher Strukturen denkbar sind' (S. 190). Diese Verkoppelung philosophischer mit empirischer Analyse, ohne jedoch philosophische bzw. transzendentale in empirischen Fragestellungen aufzulösen, ist es, die Habermas mit dem Schlagwort 'schwacher' oder 'weicher' Naturalismus belegt. Henrich zeigt aber auf, wie diese Naturalisierung selbst wieder Probleme für Habermas' Diskursethik mit sich bringt. Für Habermas ist es jedoch notwendig, sich sowohl von bewusstseins-, als auch von transzendetalphilosophischen Begründungsversuchen zu lösen, stellen beide Positionen doch für ihn Versuche einer Letztbegründung dar, die nach Habermas unter das Verdikt der Metaphysik fällt.
Daniel Henrich zeichnet nach und diskutiert, wie sich die habermassche Philosophie zwischen den Polen der (metaphysischen?) Bewusstseinsphilosophie und einer Naturalisierung des Selbstbewusstseins als evolutionäres Produkt bewegt und versucht, dazwischen die Diskursethik zu positionieren. Dabei wird herausgestrichen, dass Habermas sich des Problems, auf einen universalen Geltungsanspruch nicht verzichten zu können, immer bewusst ist. Habermas versucht es mit einer detranszendentalisierten Reformulierung von Sprache und damit auch der Philosophie selbst, indem er auch die Sprache der Philosophie und damit auch der Diskursethik, rückbindet an eine lebensweltlich-pragmatische Verankerung, relativ zu der jede Begründung einer Ethik zu denken sei. Sozusagen als Komplement zum 'schwachen Naturalismus' spricht Habermas dann von einem 'schwach transzendentalen Argument' (S. 188). Aber Henrich zeigt auch auf, dass auch der Naturalismus in schwacher Spielart ' und damit Habermas' eigene Position ' tendenziell für die gleiche Kritik anfällig ist, die den strengen Naturalismus betrifft: Fällt Habermas letztlich damit nicht selbst in eine metaphysische Position der unhinterfragbaren Letztbegründung zurück? Dies ist eine Kritik, die unter anderem anhand der Diskussion zwischen Habermas und Dieter Henrich dargestellt wird.
Das Problemfeld, das Henrich in Angriff genommen hat, ist nicht nur aufgrund der angesprochenen Themenvielfalt komplex, sondern auch durch die Sprache der behandelten Denker selbst. Die Arbeit von Henrich besticht durch eine sehr klare Sprache, die darum bemüht ist, dem Leser durchweg Auskunft über das eher technische Vokabular von Habermas' Philosophieren zu geben. Henrichs Abhandlung bewegt sich im theoretischen Kern von Habermas' Denken und im Umfeld von Habermas' philosophischen Gesprächspartnern, etwa der sprach-analytischen Tradition mit Austin und Searle. In ihr wird eine Problematik nachgezeichnet, die den eingangs erwähnten Fragen etwa der Bioethik und Rechtstheorie zugrunde liegt. Der Titel der Arbeit zeigt nur zwei der Stühle an, zwischen denen Habermas sitzt. Ergänzen könnte man z.B. noch das Problem der Religion und deren Reste in säkularisierten Begründungsansätzen, die in Henrichs Arbeit angerissen sind. Insofern ist die Abhandlung interessant für die Auseinandersetzung mit Habermas' Philosophie, aber auch als Hilfsmittel, um seine Position zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen besser verstehen und weiter diskutieren zu können.